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Das Konzept der »kulturellen Übersetzung« 51
Nicht weniger skeptisch als Trivedi steht Lieven D’hulst der metaphorischen
Verwendung des Übersetzungsbegriffs gegenüber, doch bringt er eine zeitliche
Dimension in die Diskussion ein, wenn er meint, dass »in scholarly discourse
metaphors can only serve as provisional substitutes for concepts and models to
be developed on their basis« (D’hulst 2008 :222). Er zeichnet verschiedene Wege
vor, die sich aus der Erkenntnis, dass bisher keine Disziplin alle verschiedenen
Faktoren einer theoretischen Konzeptualisierung von »cultural translation« ab
decken konnte, ableiten : Entweder ist »Übersetzung« ein parzielles Forschungs
objekt verschiedener Disziplinen oder ein umfassendes Forschungsobjekt für
eine Disziplin, die sich genuin als Interdisziplin versteht ; letztere Option würde
eine verstärkte Migration theoretischer Konzepte voraussetzen (ibid.: 224).21
Diese zögerlichen bis ablehnenden Haltungen gegenüber der Einbeziehung
des Konzepts der »kulturellen Übersetzung« in den Objektbereich der Trans
lationswissenschaft, die letztlich einer Absage an interdisziplinäres Arbeiten
gleichkommen, erscheinen gerade angesichts der zahlreichen Studien, die vor
allem von der englischsprachigen scientific community produziert werden, ver
wunderlich. Allen voran Agorni selbst, die Übersetzung zum einen traditionel
lerweise als sprachlichen und kulturellen Transfer zwischen Ausgangs und
Zieltext bezeichnet und zum anderen als »the complex process of transforma
tion foreign images are subject to when they are transported across different
cultures« (Agorni 2002 : 2). Damit weist sie der Übersetzung einen weitaus grö
ßeren Aktionsradius zu, als dies in herkömmlichen Konzeptionen der Fall ist,
und macht diesen durch die Verbindung der beiden Kulturtechniken Ȇberset
zen« und »Reisebeschreibung« explizit : Beiden ist die Unmöglichkeit einge
schrieben, endgültige Repräsentationen zu produzieren, und beide sind dadurch
einem »potentially never ending process of re translation« unterworfen (ibid.:
3). Weitere Beispiele jüngerer Publikationen mit dem ähnlichen Anliegen, von
einem weit gefassten Übersetzungsbegriff, der in weiten Teilen mit »kultureller
Übersetzung« gleichgesetzt wird, auszugehen und nicht zuletzt damit den Bei
trag von Übersetzung in der Konstruktion von Kulturen herauszuarbeiten, sind
etwa Traducir al Otro. Traducción, exotismo, poscolonialismo (Carbonell i Cortés
1997), Translating Travel (Polezzi 2001) oder Representing Others. Translation,
(2010) mit Beiträgen von Ashok Bery, Andrew Chesterman, Kien Nghi Ha, Mary Louise Pratt,
Robert Young, u.v.m.
21 D’hulst selbst privilegiert offenbar letztere Lösung, wenn er auf der Basis von Gideon Tourys »as
sumed translation« ein interdisziplinäres Modell entwirft, das vor allem für historische Studien in
den Translation Studies Anwendung finden soll.
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437