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Das Konzept der »kulturellen Übersetzung« 53
interdisziplinärer Zusammenarbeit.22 Die durch intensivierte interdisziplinäre
Diskussion entstehende Forschungsdynamik kann überhaupt erst die Heraus
bildung relevanter Fragestellungen ermöglichen, die die Auseinandersetzung
mit den hier aufgezeigten Problemkomplexen vorantreiben.
Prunč nimmt innerhalb der Translationswissenschaft einen Kernbereich an,
in dem die definitorischen Merkmale (so etwa die von einer wissenschaftlichen
Gemeinschaft konsensuell betrachtet als zum Objektbereich gehörenden Über
setzungsphänomene) in ihrer ausgeprägtesten Form anzutreffen sind, während
sich andere Phänomene von diesem Kernbereich entfernen und in den Grauzo
nen zu benachbarten Objektbereichen angesiedelt sind. In diesem Kontinuum
zwischen Zentrum und Peripherie seien die beobachtbaren Objekte anzuord
nen (Prunč 2004 : 263f.). Was hier erforderlich scheint, ist die Aufdeckung des
relationalen Charakters der verschiedenen Translationsphänomene, wodurch
nicht nur der »Kernbereich« ausgeweitet, sondern in weiterer Folge überhaupt
durch seine daraus resultierende Dynamisierung aufgelöst werden kann. In dem
Augenblick, da ein Forschungsphänomen (wie jenes der »kulturellen Überset
zung«) nicht mehr als unüberwindbares Problem gesehen wird, das als solches
die Grenzen der eigenen Disziplin zu sprengen droht, sobald es nicht in ein
»ganzheitliches und in sich geschlossenes System von Begriffen und Metho
den« zu fassen ist, öffnet sich der Blick auf umfassendere Phänomenkomplexe,
wie etwa die Verständigungsstrategien, die das Moment des Aushandelns von
kulturellen Differenzen in den Vordergrund rücken lassen, oder auch die Bre
chungen, die durch den Übersetzungsprozess zwischen kulturellen Kodierungen
stattfinden (siehe dazu etwa Bachmann Medick 2004 : 449, et passim). Ein ers
ter Schritt in diese Richtung könnte die Einlösung der Forderung von Martin
Fuchs sein, ein möglichst breites Spektrum von Übersetzungskonstellationen
(etwa durch Fallstudien) zu erarbeiten, die Übersetzung als interaktives kultu
relles und soziales Geschehen zu konkretisieren suchen (Fuchs 1997 : 319). Es
gilt, die kulturelle Wende ernst zu nehmen und sie nicht nur auf die Lösung
unmittelbarer »kultureller Übersetzungsprobleme« festzuschreiben, sondern ih
ren spezifischen Anforderungen gerecht zu werden, die von der Erschließung
»fremder« Weltbilder und Denkweisen durch Übersetzung bis zur Diskussion
22 Diesbezüglich ist die von Maria Tymoczko (2007 : 59) getroffene Unterscheidung zwischen dem
für herkömmliche Übersetzungskonzepte stehenden Begriff translation und *translation, womit
»the cross cultural understanding that translation studies must move toward« signalisiert wird,
nicht zielführend, da damit klare Grenzen zwischen den verschiedenen Übersetzungsbegriffen
postuliert werden.
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437