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Die kakanische Variante der Multikulturalismus-Debatte 63
in den Vordergrund, in deren Rahmen oft vom »österreichischen Völkerkerker«
(Wandruszka 1980 : XVI) die Rede ist ;28 diese Sichtweisen werden in einer
zweiten Phase von teilweise nostalgischen Idealisierungen abgelöst, die in den
kulturellen Praktiken der Habsburgermonarchie ein »Paneuropa im Kleinen«
oder gar ein »Modell für ein künftiges Vereintes Europa« (ibid.) orten wollen
und das Gemeinsame unter den verschiedenen Nationalitäten vor das sie Tren
nende zu stellen suchen. Die Forschung jüngerer Zeit scheint sich von polari
sierenden Sichtweisen ab und auf problemorientierte Fragestellungen hinzu
wenden, die den Blick vor allem auf die Funktionsweisen des Zusammenlebens
der Nationalitäten richten und dort vielfach alltagspolitische Fragestellungen
aufwerfen.
Zur Charakterisierung der kulturell und sozial äußerst komplexen und zah
lenmäßig beträchtlichen Bevölkerung der Habsburgermonarchie wird wieder
holt der Begriff des Multikulturalismus verwendet,29 was angesichts des Um
standes, dass dieser – zunächst als »Miteinander« von Kulturen bezeichnet – ein
konstitutives Merkmal der Monarchie und der Vielgestaltigkeit ihrer Kulturen
darstellt, nicht verwundern mag. Wird davon ausgegangen, dass Multikultura
lität mehr ist als die »kompetente Verwendung von verschiedenen sprachlichen
und kulturellen Kodes in einer pluralen Kommunikationssituation« (Strutz/
Zima 1996 : 89),30 so öffnet sich der Blick auf die Realitäten eines Nebeneinan
ders heterogener kultureller Praktiken, deren oftmals »strapazierte« gegenseitige
Öffnung zum Miteinander in der Alltagspraxis als Illusion entlarvt wird. Der
ambivalente Umgang mit dem Multikulturalitätskonzept mag angesichts der
Gründe für sein Entstehen auch nicht verwundern, ist doch
Multikulturalismus in einer gewissen Hinsicht nur [als] eine spätere, ironische
Wende derselben Geschichte [zu sehen]. In ihrer singulären kulturellen Identität
geborgen, schufen sich die Nationalstaaten koloniale Untertanen, deren Nachkom
men sich dann als Migranten unter sie mischten und damit jene kulturelle Einheit
in Gefahr brachten, welche das Imperium überhaupt erst mit ermöglicht hatte.
(Eagleton 2001 : 89)
28 Vgl. dazu auch Ruthner (2003 : 3).
29 Nicht zuletzt zur Schaffung eines im Dienste eines (dem heutigen Verständnis nach) »Multikul
turalismus« stehenden übernationalen Bewusstseins initiierte Kronzprinz Rudolf das sogenannte
Kronprinzenwerk (1885–1902) ; vgl. Zintzen (1999).
30 Strutz und Zima sehen diese Definition ebenfalls als problematisch an.
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437