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Die kakanische Variante der Multikulturalismus-Debatte 65
von der kulturellen und sprachlichen Vielgestaltigkeit der Habsburgermonar
chie. Nach den Deutschsprachigen und den MagyarInnen, die zahlenmäßig den
größten Teil der Bevölkerung ausmachen, werden die TschechInnen, PolInnen,
RuthenInnen, RumänInnen, KroatInnen, SerbInnen, SlowakInnen und Slo
wenInnen genannt, schließlich die ItalienerInnen und Juden und Jüdinnen ;31
1910 ergab dies eine Gesamtbevölkerung in der österreichisch ungarischen
Monarchie inklusive Bosnien Herzegowina von 51.356.465 EinwohnerInnen
(Deutsches Reich 1910 : 64.903.423) (Österreichische Statistik 1912 : 34*) ; in
der Folge wurde die (Doppel )Monarchie solcherart als »›Brutstätte‹ nationaler
Ausgleichs und Vermittlungsversuche« (Brix 1986 : 176) bezeichnet.32
Hatte bereits der Kremsierer Verfassungsentwurf33 im Gefolge der Revolution
von 1848 die Gleichwertigkeit aller Nationalitäten der Monarchie als Grund
lage genommen, war der sich im »Kampf der österreichischen Nationen um
[und nicht gegen] den Staat« (Karl Renner 1902, zit. nach Wandruszka 1980 :
XVI) artikulierende Gleichheitsgedanke nicht mehr aufzuhalten. Die nationali
tätenbezogenen Auseinandersetzungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
fanden innerhalb des weit gespannten und von Widersprüchen gezeichneten
Bogens zwischen dem rechtmäßigen Anspruch auf Gleichberechtigung und den
gewaltigen regionalen Unterschieden in den Voraussetzungen für ihre Realisie
rung statt. Die von der habsburgischen Verwaltung akribisch dokumentierten
sozialen und ökonomischen »Realitäten« spiegelten die Diskrepanzen zwischen
den Nationalitäten wider, die notwendigerweise zu Differenzen in der Wahr
nehmung des Nationalitätenkonflikts und auch in den Durchführungsbestre
bungen der jeweiligen Forderungen führten.
Eines der Instrumente dieses »Nationalitätenkampfes« war zweifelsohne die
jeweils als für die Nationalität konstitutiv postulierte Sprache. So waren der
31 In der Folge werden fraueneinbindende Formen nur dort verwendet, wo tatsächlich angenommen
werden kann, dass weibliche Personen inkludiert sind.
32 Zur Frage der Gleichberechtigung im Kontext von Sprache und Nation im europäischen Ver
gleich siehe Hobsbawm (1996 : 115ff.).
33 Der nach Ausbruch der Oktoberrevolution 1848 nach Kremsier verlegte erste gewählte österrei
chische Reichstag arbeitete einen Verfassungsentwurf aus, nach dem an die Stelle der Kronländer
sogenannte Bundesländer der einzelnen Völker der Monarchie getreten wären. Der Entwurf war
ein Versuch, die Habsburgermonarchie zu einer Art »Völkerbund« umzugestalten. Um die defi
nitiven Beratungen über den Entwurf zu verhindern, verfügten Kaiser Franz Joseph und Fürst F.
Schwarzenberg am 7. März 1949 die Auflösung des Reichstages (AEIOU 2010). Vgl. zu Details
der Revolutionsjahre 1848/49 Hye (2007 : 37ff.).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437