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74 Das habsburgische Babylon
aufgrund einer angenommenen zivilisatorischen Überlegenheit der Deutsch
sprachigen den Vorrang vor allen anderen Sprachen. In den folgenden Jahr
zehnten wurde dem Deutschen diese Vorrangstellung wiederholt streitig ge
macht, was vor allem im Parlament zu erbitterten Kämpfen führte und 1880
die Deutschliberalen zu dem Antrag veranlasste, Deutsch als Staatssprache zu
verankern. 1887 wurde erneut ein Anlauf in diese Richtung unternommen mit
dem Argument, dass das Deutsche als Amtssprache ein Gewohnheitsrecht hätte
und damit die gleiche Kraft aufweise wie Gesetzesrecht. Keiner dieser oder ähn
licher Pläne49 wurde realisiert, und auch Thronfolger Franz Ferdinand hatte mit
seiner Forderung nach »Kodifizierung der deutschen Staatssprache« keinen Er
folg (vgl. Stourzh 1980 : 1041ff.).50
Im Sprachgebrauch wurde zwischen »äußerer« und »innerer Amtssprache«
unterschieden. Die »äußere Amtssprache« oder »Sprache des äußeren Diens
tes« galt als jene, die zwischen Behörden und Parteien verwendet wurde, also
zur alltäglichen Verständigung in den Ämtern sowohl auf mündlicher (Vor
sprachen, Einvernahmen etc.) als auch schriftlicher Ebene (Klagen, behördli
che Verfügungen, Urteile etc.). Die »innere Amtssprache« oder »Sprache des
inneren Dienstes« wurde für die interne Kommunikation in den Behörden ver
wendet, wie etwa in Korrespondenzen, Aktenvermerken oder Protokollen, die
nicht für den öffentlichen Parteienverkehr bestimmt waren, aber auch münd
liche Äußerungen wie etwa Beratungen in Gremien wurden in der »inneren
Amtssprache« geführt (Rumpler 1997 : 505). Für den Gebrauch beider Amts
sprachentypen war die Definition der »landesüblichen Sprache« bzw. »Landes
sprache« ausschlaggebend. Über die genaue Unterscheidung zwischen diesen
beiden Bezeichnungen schieden und scheiden sich die Geister ; in einschlägigen
Gesetzen wurden die Begriffe nicht erläutert und dementsprechend auch von
Fall zu Fall unterschiedlich angewendet. Stourzh (1980 : 983) räumt ein, dass
eine anerkannte Differenzierung bisher nicht nachweisbar erscheint, Megner
(1985 : 256) setzt das Problem der Unterscheidung als bekannt voraus und geht
49 Der deutschnationale Abgeordnete Georg Ritter von Schönerer stellte mehrere diesbezügliche
Anfragen an das Parlament, unter anderem in der Session vom 12. Februar 1901, in der er das
Abgeordnetenhaus dazu aufforderte, eine neue »Gesetzesvorlage, betreffend die Sicherstellung der
deutschen Staatssprache als der nothwendigen Grundlage auch für alle wirtschaftlichen Reformen«
zu präsentieren (vgl. AVA, Karton 3, Zl. 7938/01, Hervorh.v.mir).
50 Über einige Jahre hinweg wurde das Deutsche – wohl um den Ausdruck »Staatssprache« zu ver
meiden – als »Vermittlungssprache« bezeichnet. Ein Antrag im Herrenhaus des Reichsrates im
Jahr 1886, die deutsche Sprache überhaupt als »Vermittlungssprache« zu erklären, wurde jedoch
abgelehnt (Hugelmann 1934 : 152 und 304f.).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437