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78 Das habsburgische Babylon
täglichen Gebrauch von Sprache nieder, sondern auch in den kulturellen Pro
dukten, die aus diesen Interaktionen hervorgingen. So steht das Phänomen der
Übersetzung für eine kulturelle Praxis, die in ihrer Funktion als Vermittlung für
den kulturellen Transfer innerhalb der Monarchie und auch im Kontakt mit
dem Ausland eine zentrale Stellung innehat. Ein Blick auf den für die vorlie
gende Studie relevanten Ort, wo diese kulturellen Produkte gehandelt wurden
– den Buchmarkt der Habsburgermonarchie –, sowie auf die Bemühungen einer
detaillierten Statistik der literarischen Produktion macht deutlich, in welchem
Ausmaß die Grundlagen für das (literarische) Übersetzungsgeschehen von
sprachpolitischen Maßnahmen und Regelungen beeinflusst war.55
Eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Buchhandels in der Habs
burgermonarchie führt unweigerlich zu dem wohl profundesten Kenner des
Buch und Verlagswesens in der Monarchie in den Jahrzehnten der Jahrhun
dertwende : Carl Junker, Jurist, Konsulent des Vereins der österreichisch-ungari-
schen Buchhändler, führender Redakteur der Österreichisch-Ungarischen Buch-
händler-Correspondenz und der Österreichischen Rundschau. Es ist bezeichnend,
dass der Stand der Forschung bei seinen Abhandlungen und Monografien noch
vielfach der von heute ist (Hall 2001 : 9).56 Ein von Junker immer wieder kon
statiertes besonderes Manko ist eine umfassende Literaturstatistik für die Mo
narchie, wie bereits 1886 Ernst Mischler beklagt und in deren Belangen sich
bis heute nicht viel geändert hat : »Die Statistik der geistigen und sittlichen
Entwickelung der Völker ist weit weniger ausgebildet, als jene der materiellen
[…]« (Mischler 1886 : 1).57 Auch der Verfasser der mit wertvollen statistischen
Materialien ausgestatteten Moralstatistik, Alexander Oettingen, ortet diesbe
züglich ein »undurchdringliches Dunkel« (Oettingen 1882 : 547), und Junker
klagt 1897, dass »[i]n keinem Lande Europas […] die Verhaeltnisse in dieser
Beziehung […] schwieriger als in Oesterreich [sind]« (Junker 1897 : 5). Die
sem Mangel an Aufarbeitung des Buchmarkts, die doch »einen reichen Stoff für
55 Die vorliegende Untersuchung der Publikationen auf dem Habsburgischen Buchmarkt kann auf
grund der disparaten Quellenlage bestenfalls Forschungsdefizite orten ; trotzdem scheint sie auf
grund der aufgezeigten Tendenzen für die »Vielsprecherei« in der Monarchie illustrativ.
56 Vgl. die von Murray G. Hall besorgte umfangreiche Zusammenführung seiner wichtigsten Schrif
ten Zum Buchwesen in Österreich. Gesammelte Schriften (1896–1927) (Junker 2001).
57 Er scheint sich mit dieser Aussage auf das treffliche Zitat von Alexander von Oettingen zu stüt
zen : »Es ist ein trauriges Zeichen der materialistischen Richtung unserer Zeit, dass den amtlichen
Organen und statistischen Büreau’s mehr daran gelegen ist zu erfahren wie viel Schweine und
Schaafe, Ochsen und Kälber per Kopf der Bevölkerung verzehrt werden, als wie viel geistige Nah
rung solider Art die Gesammtheit oder alle Einzelnen verbrauchen« (Oettingen 1882 : 553).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437