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Geschichte
Vor 1918
Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
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»Polykulturelle Kommunikation« 101 cherwerbs ebenfalls der Austausch von Kindern statt. So berichtet der 1887 im sudetendeutschen Ort Michelsdorf geborene Gustav Linert – vielleicht durch die Erinnerung leicht verklärt – in seinen Memoiren : Zwischen den Dörfern herrschte bestes Einvernehmen und auch mit den Bewoh­ nern der umliegenden tschechischen Gebiete war das Zusammenleben gut. Die deutschen und tschechischen Bauern kannten damals noch keinen nationalen Haß und die Zusammenarbeit war klaglos. Sie trachteten im Gegenteil das beiderseitige Verständnis zu verbessern. Deutsche Familien schickten ihre Kinder ins »Tsche­ chische«, wie man sich damals ausdrückte, und im Austausch kamen tschechische Kinder ins »Deutsche«, um die Sprache zu lernen. Die Kinder fühlten sich bei den deutschen bzw. bei den tschechischen Zieheltern heimisch […]. (Linert 1975 : 2)88 Es handelte sich hier demnach – im Unterschied zu den böhmischen und an­ deren DienstbotInnen in den Großstädten – insofern um eine Subform des »habitualisierten Übersetzens«, als es nicht – wie das zu besprechende »insti­ tutionalisierte Übersetzen« – durch gesetzliche Bestimmungen geregelt war, sondern wie das »habitualisierte Übersetzen« auf mehr oder weniger freiwillig gewählten Funktionen beruhte. Der Unterschied zu den bisher diskutierten Bei­ spielen des »habitualisierten Übersetzens« liegt darin, dass die »Übersetzungs«­ Situation zumindest vordergründig nicht in asymmetrischen Kommunikations­ beziehungen stattfindet – was schon durch die für den Austausch konstitutive Reziprozität bedingt ist, auch wenn der »Wechsel« zuweilen zwischen sozial unterschiedlich geschichteten gesellschaftlichen Gruppen stattfand – und in keinem dokumentierten Fall einseitig zielkulturell orientiert ist, sondern durch 88 Vgl. eine ähnliche Situation in Berger (1994 : 43). Der 1838 in Mähren geborene František Berger wurde als 13­ Jähriger zu einem Bauern ins böhmische Nachbardorf geschickt, bevor er eine Aus­ bildung als Orgelbauer in Wien aufnahm. Das Tauschkindsystem beschränkt sich keineswegs auf den Raum der Habsburgermonarchie, sondern ist in weiten Teilen Europas dokumentiert. Flämi­ sche Bauern schickten ihre Söhne zum Spracherwerb für ein bis zwei Jahre auf französischspre­ chende Höfe in den benachbarten Provinzen Artois und Picardie und nahmen im Tausch deren Söhne bei sich auf (Shorter 1983 : 42) ; ein anderes relativ weit verbreitetes Tauschkindersystem ist aus dem Berner Land bekannt, wo vor allem besser gestellte ländliche Familien ihren Kindern einen »Welschlandaufenthalt« ermöglichten, sie also zum Austausch in die französischsprachige Schweiz schickten, um »Sprachkenntnisse und Gewandtheit« zu erlangen (Mesmer 1983 : 177). Gleiches ist auch in Gyr (1982 : 223) dokumentiert, wo die »Gewohnheit, Kinder unter verschie­ denen Kantonen auszutauschen, damit sie zwei Sprachen, deutsch und französisch, lernen« unter die umfassende Kategorie der »Gegenseitsbräuche« gestellt wird.
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Die vielsprachige Seele Kakaniens Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Untertitel
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Autor
Michaela Wolf
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2012
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78829-4
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
442
Kategorien
Geschichte Vor 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Dankesworte 11
  2. Einleitung 13
  3. Erstes Kapitel
    1. Zur soziologischen Verortung von Translation 19
      1. 1. Wissenschaft und Gesellschaft im Kontext von Translation 19
      2. 2. Translationswissenschaft : »going social« ? 22
  4. Zweites Kapitel
    1. K.(u.)k. »going postcolonial« 25
      1. 1. Die Verortung der »habsburgischen Kultur« 25
      2. 2. Der »cultural turn« und seine Folgen 35
      3. 3. Übersetzung als Beitrag zur Konstruktion von Kulturen 40
      4. 4. Das Konzept der »kulturellen Übersetzung« 45
      5. 5. Der Versuch einer Übersetzungstypologie 54
    2. »Polykulturelle Kommunikation und Translation« 54
    3. »Transkulturelle Translation« 58
  5. Drittes Kapitel
    1. Das habsburgische Babylon 62
      1. 1. Die kakanische Variante der Multikulturalismus­ Debatte 62
      2. 2. Zählt der Staat Häupter oder Zungen ? 67
      3. 3. Sprachpolitik zur »Annäherung der Volksstämme« 73
      4. 4. Die »Vielsprecherei« auf dem Buchmarkt 77
  6. Viertes Kapitel
    1. Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
      1. 1. »Polykulturelle Kommunikation« 87
    2. »Habitualisiertes Übersetzen« 90
    3. »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
      1. 2. »Polykulturelle Translation« 119
    4. Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
    5. Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
    6. Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
    7. Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
    8. Kriegsministerium 165
      1. 3. Die Ausbildung von Dragomanen 179
      2. 4. Der kulturkonstruierende Beitrag der Translationspraxis 188
  7. Fünftes Kapitel
    1. Theoretischer Aufriss eines habsburgischen »Übersetzungsraumes« 194
  8. Sechstes Kapitel
    1. »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
      1. 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
      2. 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
    2. Positionierungskämpfen 208
  9. Siebtes Kapitel
    1. Der »Nutzen fürs geistige Leben« : Übersetzungspolitik in der Habsburgermonarchie 216
      1. 1. Regelnde Faktoren einer Übersetzungspolitik 217
    2. Zensur 218
    3. Urheberrechtsfrage 220
    4. Konzessionspflicht 221
      1. 2. Staatliche Kultur­ und Literaturförderung 222
      2. 3. Literaturpreise 225
  10. Achtes Kapitel
    1. »Übersetzen am laufenden Band«. Eine Übersetzungsstatistik 236
      1. 1. Einzeldaten der Übersetzungsbibliografien 240
    2. »Polykulturelle Translation« 240
    3. »Transkulturelle Translation« 243
      1. 2. Gesamtauswertungen 246
      2. 3. Übersetzen zwischen Sucht und Entwöhnung 257
  11. Neuntes Kapitel
    1. Der Vermittlungsraum italienischer Übersetzungen 263
      1. 1. Österreichisch­ italienische Wahrnehmungen 266
      2. 2. Italienische Übersetzungen im deutschsprachigen Raum 281
      3. 3. Die Metamorphosen des »Übersetzungsfeldes« 298
    2. Soziale Felder und ihre Funktionsregeln 299
    3. Die Dynamisierung der bourdieuschen Felder 303
    4. Paratexte – das »Beiwerk des Buches« 308
    5. Der habsburgische Vermittlungsraum 336
  12. 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
    1. Vermittlungsraumes« 359
  13. Zehntes Kapitel
    1. Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
    2. Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
    3. Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
    4. Tabellen 392
    5. Grafiken 393
    6. Abkürzungen 393
    7. Literaturverzeichnis 394
    8. Quellen 394
    9. Sekundärliteratur 396
    10. Sachregister 434
    11. Personenregister 437
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