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»Polykulturelle Kommunikation« 107
gleichsjahren Deutsch Sprechende, während die Zahl der Mannschaften
deutschsprachiger Herkunft jeweils nur etwa ein Viertel ausmacht. Die über
wältigende Mehrheit der Militäreinheiten war vielsprachig. Im Sommer 1914
etwa galten lediglich 142 Regimenter als einsprachig (davon nur 31 deutsch
sprachig), 162 waren zweisprachig, 24 dreisprachig, und einige sogar vierspra
chig. Das bedeutete insgesamt, dass mehr als 90 % der Offiziere gezwungen
waren, sich in zumindest einer anderen Sprache als Deutsch zu verständigen
(vgl. Déak 1991 : 122).96 Einen dementsprechend bedeutenden Raum nahm
die sprachbezogene Ausbildung ein. Von den Zöglingen an den Militärschulen
erwartete man Kenntnisse in den wichtigsten Sprachen der Monarchie, wobei
diese oft von Offizieren unterrichtet wurden, die selbst verkannte Dichter oder
Schriftsteller waren. Die Ausbildungs und Umgangssprache in den k.(u.)k.
Armeeschulen war Deutsch, 1904 setzte die ungarische Regierung Ungarisch
als Pflichtsprache an der Wiener Neustädter Militärakademie durch (ibid.:
109f.) ; Französisch wurde in allen Lehrgängen gelehrt, Tschechisch, Ungarisch
und Italienisch ab dem dritten bzw. sechsten Jahrgang. Nach dem Verlust der
italienischen Provinzen entfiel der Italienischunterricht, es konnte nun zwi
schen Ungarisch und Tschechisch gewählt werden (Wagner 1987 : 245 und
497).97 Die Ausbildung schien sich auf die rein sprachliche Komponente zu
beschränken ; eine kulturspezifische Ergänzung war offensichtlich nicht vorge
sehen, was zweifelsohne zu erheblichen Missverständnissen in der Kommuni
kation innerhalb der Armee nicht unwesentlich beitrug ; der Offiziersanwärter
lernte, »Massen und Menschen zu führen, und nicht, sich mit den Besonder
heiten ihrer Individualität zu beschäftigen« (Déak 1991 : 113). Daraus resultie
rend waren viele Offiziere überfordert, wenn sie plötzlich vor einer Klasse voller
Militärschüler standen, die sie in ihrer Muttersprache anzureden hatten, ihnen
Besonderheiten einzelner Waffen erläutern oder die richtige Form der Anrede
eines Vorgesetzten erläutern mussten. Zusätzlich lastete ein Leistungsdruck auf
den Offizieren, denn sie waren unter Androhung des Ausschlusses von einer
96 Manche Offiziere hatten eine mehrsprachige Jugend und Kindheit verlebt. Der in Dalmatien ge
borene und aufgewachsene General Urbánski lernte z. B. von seinem Vater Polnisch und Deutsch,
von seiner Mutter Italienisch, von den Dienstboten »italienisch slowenischen Kauderwelsch« und
von dem Offiziersburschen seines Vaters ein wenig Ungarisch (vgl. Déak 1991 : 294, Anm. 9).
97 In der Marine war für die Beförderung zum Unteroffizier die Beherrschung einer Sprache in Wort
und Schrift erforderlich, eine zweite sollte zumindest passiv verstanden werden. Für Seeoffiziere
enthielt der Lehrplan der Marineakademie neben den technischen Disziplinen Unterrichtsstun
den in Deutsch, Serbokroatisch und Italienisch, für höhere Jahrgänge Englisch und Französisch
(Höbelt 1987 : 742, 744).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437