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110 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie
Wehrmacht ganz besonders gefordert, die Kommunikation der Regimenter in
dieser pluriethnischen Zusammensetzung zu ermöglichen. Das Problem wurde
schon vor dem Ausgleich erkannt : In der Österreichischen Militärischen Zeit-
schrift erschien bereits 1862 ein Artikel, der anregte, die von den Regimentern
benutzten Dienstbücher in alle Sprachen der Monarchie zu übersetzen (vgl. N.
[sic] 1862 : 367).101 Auch wenn dieser Vorschlag nie zur Gänze zur Ausfüh
rung gelangte, konnten verschiedene Handbüchlein wie Böhmische Militärspra-
che (Bauer 1898) oder Rumänische Militärsprache (Sangeorzanu 1883)102 Abhilfe
schaffen, die die wichtigsten Grammatikregeln und eine Liste unerlässlicher
Redewendungen für den Dienstgebrauch enthielten. Bis zur Herausgabe sol
cher Handbücher war es »dem Fleisse und dem guten Willen der Regimenter
[überlassen], sich Übersetzungen [des Dienstreglements und anderer das Funk
tionieren des Heeres garantierender Grundlagen] durch einen Officier oder den
Regiments Caplan zu verschaffen« (N.N. 1868 : 68).
Die Forderung der habsburgischen Zentralverwaltung an sein Heer, der mul
tilingualen Realität der Heeresangehörigen durch vielfache Maßnahmen in der
jeweiligen Sprachverwendung und auch in der Bereitstellung dementsprechen
der translatorischer Hilfsmaterialien Genüge zu tun, ging von dem Anspruch
aus, dem Heer einen »übernationalen« Charakter zuzuschreiben. Das sich im
Heer manifestierende Phänomen des Übersetzens als »polykulturelle Kommu
nikation« (basierend auf Zwei und Mehrsprachigkeit) im Rahmen des »insti
tutionalisierten Übersetzens« und auch als »polykulturelle Translation« (siehe
translatorische Hilfsmaterialien) trug somit zur Erfindung bzw. zur Konstruk
tion dieses »supranationalen Österreichs« in hohem Maß bei.
Trotz der Vielzahl an offensichtlichen Widrigkeiten, mit denen die k. u. k.
Armee aufgrund ihrer pluriethnischen Zusammensetzung punkto Kommuni
kation konfrontiert war,103 konnten nicht zuletzt aufgrund hoher Bereitschaft
101 In einem Artikel in der Österreichischen Militärischen Zeitschrift aus dem Jahr 1868 wird ebenfalls
– mit pathetischen Worten – auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Sprachkenntnisse der Of
fiziere zu vertiefen, um sich »zum Meister seiner [der Mannschaft] Seele zu machen«, denn die
Offiziere müssen »in jeder Lage den Mann dominiren, beherrschen – sie müssen magisch wirken,
electrisiren« (N.N. 1868 : 67).
102 Zur praktischen Verwendung der rumänischen Behelfe in der Bukowina vgl. Lindenbauer
(1997). Neben den genannten Handbüchern gab der Wiener Verlag Seidel Ausgaben in beinahe
identischer Aufmachung für Ungarisch (Beszédes 1875) und Polnisch (Truszkowski 1894)
heraus.
103 Die aus sprachlichen Kommunikationsschwierigkeiten resultierenden Probleme innerhalb des
Heeres wurden freilich durch die zunehmenden Nationalitätenkonflikte verschärft ; vgl. etwa die
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437