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»Polykulturelle Kommunikation« 111
der Mehrheit der Beteiligten, das Potenzial zur Lösung dieser Frage tendenziell
zu erhöhen, die Verständigungsprobleme wenn nicht beseitigt, so doch einiger
maßen zufrieden stellend unter Kontrolle gebracht werden. Dazu haben mit Si
cherheit nicht nur so manche mehrsprachige Rekruten104 sowie ein zunehmend
effizientes Sprachstudium an den Militärschulen, sondern auch der »linguisti
sche Einfallsreichtum« der Offiziere (Déak 1991 : 126) in erheblichem Maße
beigetragen. Die bereits 1860 formulierte »besondere culturhistorische Aufgabe
der k. k. österreichischen Armee« wurde somit »männlich erfüll[t]« (Streuffleur
1860 : 63).
Die Verwaltung – die »Sprachenhalle« der Monarchie105
Ein dritter Anwendungsbereich des »institutionalisierten Übersetzens« ist in
der habsburgischen BeamtInnenschaft zu finden, die für den mehr oder weniger
reibungslosen Ablauf der Verwaltung verantwortlich zeichnete. Wie das habs
burgische Heer ist auch dieser Bereich als eine Mischform zwischen »polykul
tureller Kommunikation« und »polykultureller Translation« zu sehen. In diesem
Arbeitsfeld manifestierte sich die im Zuge des Nationalitätenstreits verstärkt
aufkommende Sprachenfrage in massiver Weise, was nicht zuletzt auf die vielfa
chen Möglichkeiten, in denen die Anwendung unterschiedlicher Sprachen (im
Transfer als Übersetzung oder als Grundlage zur Produktion »anderssprachiger«
lebensgeschichtlichen Aufzeichnungen von Emil Geißler (1876– ?) seine Militärzeit betreffend
(Geißler 1942–1946 : 37ff.). Daran konnte auch der zunehmend von höchster Stelle propagierte
Wille zu einer übernationalen Gesinnung im Heer weder länger noch kurzfristig etwas ändern.
Franz Werfel formulierte dieses Bestreben in Barbara oder die Frömmigkeit auf satirische Weise :
Ȇberdies verlor jeder Offizier im tragenden Elemente der Armee seine nationale Belastung, wie
ein Körper sein Gewicht im Wasser verliert« (Werfel 1929 : 162).
104 »Bei einem Appell habe ich übersetzt, und manchmal habe ich in der Kanzlei geschrieben, denn
ich habe Deutsch in Wort und Schrift beherrscht«, berichtet der aus Mähren stammende Jan
Kotal in seiner Autobiografie (Kotal 1994 : 289). Andere Lebenserinnerungen sprechen von ver
dienstvollen Tätigkeiten aufgrund guter Sprachkenntnisse, so Eduard Lippert, dessen während
der Militärzeit erworbene Italienischkenntnisse ihm bei einem Manöver als »Quartiermacher«
zugute kamen (vgl. Lippert o.J.: 59).
105 Das Werk »Die Sprachenhalle«, verfasst vom Direktor der K.k. Hof und Staatsdruckerei Alois
Auer v. Welsbach, enthält das Vater Unser in insgesamt 608 Sprachen und Mundarten. Diese
Sammlung, bei deren Druck über 200 verschiedene Typenarten verwendet wurden, ist der end
gültige Beweis dafür, dass es dem Typografen und Techniker Auer gelungen ist, die ehemals de
solate Staatsdruckerei zu einer angesehenen Typografischen Anstalt zu machen (Auer von Wels
bach 1847).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437