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114 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie
in Tirol waren die Landessprachen Deutsch und Italienisch. Im Küstenland gal
ten Deutsch, Italienisch und Slowenisch – in Istrien auch Kroatisch – als Lan
dessprache, während der Landtag seine Verhandlungen in italienischer Sprache
abhielt. Ungleich komplizierter stellte sich die Situation in Böhmen dar, wo
Deutsch und Tschechisch als gleichberechtigte Landessprachen und auch lan
desübliche Sprachen galten ; die deutschsprachige Gerichtspraxis jedoch wich
von diesen Bestimmungen ab und betrachtete Deutsch als die im ganzen Land
landesübliche Sprache, was zu erheblichen Konflikten führte. Für Mähren galten
dieselben Bestimmungen, doch war Tschechisch dort als Gerichtssprache voll
anerkannt. In Schlesien war die vorherrschende Landessprache Deutsch ; Pol
nisch und Tschechisch wurden in einigen Bezirken als landesübliche Sprachen
anerkannt. In Galizien waren die Landessprachen Polnisch und Ruthenisch, der
Theorie nach auch Deutsch ; in der Bukowina Deutsch, Rumänisch und Ru
thenisch. In Dalmatien galten als Landessprachen Kroatisch und Italienisch,
Landesgesetze wurden in beiden Sprachen verlautbart (Kann 1964b : 394ff.).
Die Vermittlungsfunktion in diesem komplexen Feld war also – vor allem an
gesichts der Tatsache, dass die kulturelle Orientierung der Bürokratie spätestens
seit den Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts deutsch war (Heindl 1991 : 198)
– keine einfache und war auch dementsprechend Anlass zahlreicher Konflikte,
denen unter anderem, wie bereits ausgeführt, durch verschiedene Sprachenver
ordnungen begegnet werden sollte. Trotz der weitverbreiteten Mehrsprachigkeit
vieler BeamtInnen wurden in vielen Gebieten, wie vor allem in Böhmen, nati
onal verfestigende Positionen bezogen ; auch in Dalmatien war die Sprachen
frage ein Problem, das die Landtage und auch die zentralen Stellen in Wien
kontinuierlich beschäftigte (vgl. im Detail Strčić 2006). Die Anforderungen, die
an die BeamtInnen in Sachen Sprachkompetenz gestellt wurden, waren zum
Teil nicht unerheblich,108 hatte doch etwa die sogenannte Gautschsche Spra
chenverordnung von 1898 verfügt, dass »jeder Beamte an Sprachkenntnissen das
besitzen« müsse, »was der Dienst bei der Behörde seiner Verwendung wirklich
erfordere« (Hellbling 1975 : 245). Die Auswahl der BeamtInnen erfolgte zum
Teil durch »Competenz Concurse« : In Dalmatien wurde z. B. 1866 verfügt, dass
zu Staatsdienstposten nur zugelassen wurde, wer vor einer Kommission gründ
liche Kenntnisse des Italienischen und Kroatischen nachweisen konnte (Fischel
1910 : 160f.) ; 1887 wurden verpflichtend für alle bereits im Amt befindlichen
108 In zahlreichen Einzelgesetzen wurden die Beamten wiederholt und mit zunehmender Dringlich
keit darauf hingewiesen, sie müssten die in ihrem Landesteil üblichen Landessprachen beherr
schen (vgl. z. B. Fischel 1910 : 86f. 154, 175, 194 et passim).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437