Seite - 124 - in Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
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124 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie
und übersetzte die Einladung ins Slowenische, bevor sie sie an die stellungs
pflichtigen Bürger verschickte, doch war es ihr gleichzeitig ein Anliegen, den
Fall politisch diskutiert zu wissen, nicht nur da ihr durch das Vorgehen der
Bezirkshauptmannschaft Kosten entstanden waren, sondern weil sich durch den
Vorfall »die an der Spitze der Gemeinde stehenden Staatsbürger beleidigt« fühl
ten (AVA, 3, Karton 51, Zl. 15623/02).
Die Fülle von Beanstandungen vonseiten slowenischsprachiger BürgerInnen
in der Steiermark veranlasste im Februar 1910 den Verband slovenischer Advoka-
ten mit Sitz in Ljubljana, beim Ministerium des Innern eine Beschwerde einzu
reichen, in der das Verhalten der politischen Behörden in der Untersteiermark
in Angelegenheit der Sprachenverwendung gegenüber slowenischen Parteien
angezeigt wurde. Die Beschwerde ist insofern von Interesse, als sie die virulen
testen Probleme, die sich den Parteien in sprachlicher Hinsicht im Umgang mit
den Behörden ergeben, knapp auflistet. Im Vordergrund steht die Beanstan
dung, dass die Behörden weiterhin Protokolle mit slowenischen Parteien nur in
deutscher Sprache aufnehmen, im Verkehr mit slowenischen Parteien zumeist
ausschließlich deutsche Drucksorten und Amtssiegel verwenden und auf zwei
sprachige Armutszeugnisse lediglich deutsche Vidierungsklauseln schreiben.
Der Bitte des Verbandes um Behebung dieser »Ungesetzlichkeiten« wurde vom
zuständigen Ministerium jedoch mit der Begründung nicht stattgegeben, dass
es sich lediglich um eine Aufsichtsbeschwerde handelte, auf deren Erledigung
dem Verband slovenischer Advokaten kein Anspruch zusteht. Das (übrigens von
amtlicher Seite zur Verwendung der Behörden in Wien aus dem Slowenischen
ins Deutsche übersetzte) Schriftstück wurde abschließend mit dem Vermerk
»Ad acta !« versehen (AVA, 3, Karton 53, Zl. 6040/10).
Ein Sektor der Verwaltung, in dem das Sprachenproblem – und damit das
Phänomen des Übersetzens – in besonders virulenter Weise auftrat, war das
Eisenbahnwesen. Da dieser Bereich jedoch wissenschaftlich einigermaßen er
schöpfend aufgearbeitet ist (vgl. etwa Mechtler 1962), sei hier nur darauf ver
wiesen, dass nach dem Ausgleich im Jahre 1867 die ungarische Reichshälfte
eine weitgehende Madjarisierung der Eisenbahnen in Angriff nahm, während in
Cisleithanien eher ein stilles Ringen um den Sprachgebrauch zu vermerken war.
An der deutschen Dienstsprache wurde hier jedoch bis zum Ende der Monar
chie hartnäckig festgehalten. Ein schwerwiegendes Problem stellte die Forde
rung nach einer ausgeglichenen nationalen Zusammensetzung der Eisenbahn
bediensteten dar, die zusätzlich durch den Umstand erschwert wurde, dass für
die Ausübung des Berufs wichtige Unterlagen nicht in allen Sprachen vorlagen.
So hatten etwa ruthenische Bewerber um Wächterposten wegen des Fehlens von
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437