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»Polykulturelle Translation« 125
Übersetzungen der Dienstvorschriften in ukrainischer Sprache kaum Aussicht,
eine Anstellung zu erlangen (ibid.: 435). Anlass besonderer Ärgernisse waren
in vielen Teilen der Monarchie Aufschriften auf Fahrkarten sowie auf Rich
tungs und Zieltafeln, die an Zügen angebracht waren. Vor allem im südlichen
Teil der Monarchie kam es bei der Eröffnung neuer Eisenbahnlinien regelmä
ßig zu Tumulten hinsichtlich der »sprachlichen Ausstattung« der Aufschriften,
Stempel und Fahrkarten, wie etwa auf der Linie Split/Spalato Sinj oder Gruž/
Gravosa Kotor/Cattaro. Das Vorgehen der Behörden, drei Sprachen (Deutsch,
Kroatisch, Italienisch) zur Anwendung zu bringen, wurde von kroatischer Seite
als Verletzung der staatsgrundgesetzlichen Gleichberechtigung bezeichnet ;
führende Politiker wurden über die Presse aufgefordert, die Eröffnungsfeier
lichkeiten zu boykottieren und die Bevölkerung aufgerufen, entlang der Bahnli
nien öffentliche Protestversammlungen abzuhalten. Besonders aufgeheizt wurde
die Stimmung weiters durch das Ansinnen der Behörden, eine vierte Aufschrift
in Serbisch in kyrillischen Buchstaben anzubringen (vgl. dazu Mechtler 1962 :
446f. und im Detail AVA, 3, Karton 51, Zl. 14348/01, 40027/03). In diesen und
ähnlichen Fragen kam es zu zahlreichen Konflikten, die oft vor Gericht lande
ten, jedoch nicht zu landesweiten gesetzlichen Bestimmungen führten.
Auch im medizinischen Bereich wurden Dolmetscher eingesetzt, wie etwa
bereits seit dem 18. Jahrhundert in der Militärgrenze, als zur Verhinderung der
Einschleppung der Pest und anderer Krankheiten Kontumazämter und Rastelle
angelegt wurden. Als Kontumazdirektoren fungierten Ärzte, denen das übrige
Personal einschließlich eines Dolmetschers unterstellt war (Wagner 1987 : 199).
Ein kurioses Beispiel zeigt die Breite der Arbeitsfelder von Übersetzern : In vie
len Teilen der Monarchie kam es wiederholt zu Rechtsstreitigkeiten in der Frage
der Sprachverwendung bei Begräbnisinschriften. So wollte etwa die Gemeinde
Triest keine slowenischen Inschriften zulassen, die Gemeinde von Trient verbot
deutsche Inschriften und die böhmische Friedhofsgemeinde Klostergrab/Hrob
fasste gar den Beschluss, dass »nach Tunlichkeit die Grabaufschriften nur in
deutscher Sprache anzubringen sind und wenn eine anders sprachige Schrift
angebracht werden soll, dieselbe auch in deutscher Sprache angebracht werden
muß« (Lehne 1975 : 710). Die Übersetzung von Grabinschriften dürfte an der
Schnittstelle zwischen »institutionalisiertem Übersetzen« und »polykultureller
Translation« liegen.
Der Inhalt mancher Zuschriften erreichte in einigen Fällen den zuständi
gen Beamten gar nicht. Wie aus zahlreichen Beschwerdeakten hervorgeht, wur
den viele Kuverts mit der Anmerkung versehen »wird so nicht angenommen.
Es wird um [deutsche] Übersetzung ersucht«. In einem Fall weigerte sich ein
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437