Seite - 130 - in Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
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130 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie
Normierung aus dem Jahr 1835 wurde damit weitgehend liberalisiert.125 Die er
folgreiche Ablegung dieses Examens garantierte zwar noch nicht die Beeidigung
als Gerichtsdolmetscher, doch war damit der Weg dorthin weitgehend geebnet.
Es kann auch angenommen werden, dass die Gerichtsdolmetscher durch ihre
Praxis ausreichende Erfahrungen für ihre Tätigkeit sammeln konnten. Verschie
dene Akten des Haus , Hof und Staatsarchivs dokumentieren die wiederholte
Suche nach qualifizierten beeideten Dolmetschern – so etwa auf Ini tiative des
Wiener Landesgerichtspräsidiums bei diplomatischen Vertretungen verschiede
ner Staaten in Wien –, was darauf schließen lässt, dass trotz der Fülle an gericht
lich beeideten Dolmetschern qualitativ geeignete Personen nicht immer in aus
reichendem Maß zur Verfügung standen (HHStA, Administrative Registratur,
Fach 4, Karton 441, Zl. 10527/11). Das mag auch nicht verwundern, griff man
doch zuweilen auf »Auscultanten« (Gerichtsamtsanwärter) zurück, was überdies
zu Rechtsirrtümern führen konnte (Petioky 1998 : 366) ; des Weiteren sind Fälle
dokumentiert, in denen die Annahme von ausreichenden Sprachkenntnissen
genügte, um einen Dolmetscher zu bestellen.126
Dolmetschgebühren bei Gericht waren gesetzlich geregelt.127 Eine Verord
nung des Justizministeriums vom 16. August 1851 gibt an, Sachverständige und
Dolmetscher müssten ihre Gebühren rechzeitig anmelden, andernfalls würde
der Anspruch auf die Erstattung von Gebühren entfallen. Die Verordnung sieht
ausdrücklich vor, dass diese Regelung auch »rücksichtlich der nicht im Staats
dienste stehenden Dollmetsche zu gelten« habe (RGBl. 189/1851). In der Straf
prozessordnung von 1853 ist jedoch ausdrücklich festgehalten, dass »die bei ei
nem Gerichte für beständig beeideten Dolmetscher, oder Staatsbeamte« für ihre
Übersetzungs und Dolmetschdienste bei Gericht nicht bezahlt werden (RGBl.
151/1853, §§ 336). Das »Gesetz vom 23. Mai 1873, bereffend die Einführung
einer neuen Strafproceß Ordnung« (RGBl. 119/1873) sieht ebenso vor, dass die
bei Gericht angestellten Beamten oder für ständig und entgeltlich beeideten
Dolmetscher ihre Dolmetschaufträge unbezahlt zu entrichten hätten. Die Höhe
der Gebühren richtete sich danach, ob die Übersetzung mündlich oder schrift
125 Anders sah die Bestellung von Gerichtsdolmetschern in Preußen aus, wo eine Dolmetscherord
nung aus dem Jahre 1880 besagte, dass nur Gerichtsschreiber oder Gerichtsschreibergehilfen auf
Lebenszeit nach Bestehen einer Prüfung zum Dolmetscher ernannt werden konnten (Driesen
1998 : 313).
126 Vgl. den Bericht über einen »hebräischen Zensor«, der aufgrund ausreichender Sprachkenntnisse
zum Dolmetscher bestellt werden konnte (Megner 1985 : 146).
127 Zu Gebühren vor 1848 vgl. Ofner (1838 : 118).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437