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»Polykulturelle Translation« 131
lich erfolgt war : So wird in Paragraph 385 festgelegt, dass einem Dolmetscher
für die mündliche Übersetzung einer in einer fremden Sprache abgefassten Ur
kunde 50 Kreuzer zustünden, für eine schriftliche Übersetzung hingegen zwei
Gulden pro Bogen. Im Falle besonders schwieriger Übersetzungen konnten die
Gebühren um die Hälfte des Betrages erhöht werden. Für gerichtliche Verneh
mungen wurden pro Halbtag zwei Gulden bezahlt, verfasste der Dolmetscher
zusätzlich das Protokoll selbst, erhöhte sich die Bezahlung um einen Gulden.128
Wird die Höhe dieser Gebühr in Relation zum Monatslohn eines Übersetzers
des Redaktionsbureaus des Reichsgesetzblattes gesetzt, so ergibt sich folgendes
Bild : Laut »Voranschlag für das Jahr 1870« ist das Gehalt inklusive Quartiergeld
für einen Redakteur mit 1.650 Gulden bemessen (1.400 + 250 Gulden) (AVA,
40/1, Karton 2788, Zl. 10546/911, Beilage VII). Dies ergibt einen Monatslohn
von 137,5 Gulden : Einem Monatsgehalt eines Redakteurs entsprach demnach
die Übersetzung von 68 Bogen schriftlicher Übersetzungen bei Gericht – das
kommt heute etwa 300 DinA4 Seiten gleich.
Aus diesen Angaben lassen sich einige interessante Schlussfolgerungen zie
hen. Wird davon ausgegangen, dass die Bezahlung einer Leistung stets mit der
Anerkennung deren Qualität verbunden ist und unentgeltliche Arbeit somit
einen geringeren Wert aufwies, so könnten die Bestimmungen der neuen Straf
prozessordnung von 1873 dahingehend interpretiert werden, dass die sprach
lichen Qualifikationen (die sprachmittlerischen Qualifikationen wurden nie
angesprochen) der Beamten sich gegenüber der Vergangenheit, wo es wie er
wähnt zu zahlreichen Rechtsirrtümern aufgrund mangelhafter Übersetzungen
bzw. Dolmetschungen gekommen war, so weit gebessert hatten bzw. dass sich
deren Berufsethos so weit gehoben hatte, dass sich das Gericht getrost auf zu
frieden stellende Leistungen vonseiten der Staatsdiener trotz mangelnder Be
zahlung verlassen konnte. Umgekehrt kann jedoch auch vermutet werden, dass
die notorisch leeren Staatskassen der Monarchie zu fortlaufenden Einsparungen
in der Verwaltung führten, was auch die Bezahlung der Dolmetschungen und
Übersetzungen vor Gericht betraf. Ebenso erscheint die Diskrepanz zwischen
mündlicher und schriftlicher Translationsleistung auffallend – die Überset
128 Die Strafprozessordnung von 1853 wies geringere Gebühren aus : So erhielt ein Dolmetscher
für die »bloß mündliche Übersetzung« einer Urkunde 20 Kreuzer, für eine schriftliche Über
setzung jedoch ebenso zwei Gulden pro Bogen. § 336 gibt auch an, dass jede Seite mindestens
aus 30 Zeilen zu je 10 bis 18 Silben zu bestehen hätte. Für gerichtliche Vernehmungen wurde
ab 1853 pro Halbtag nur ein Gulden bezahlt, inklusive Protokoll ein Gulden 30 Kreuzer (RGBl.
151/1853).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437