Seite - 132 - in Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Bild der Seite - 132 -
Text der Seite - 132 -
132 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie
zung eines Bogens wurde in gleicher Höhe vergütet wie die gerichtliche Ver
nehmung während eines halben Tages. Davon kann abgeleitet werden, dass das
Prestige mündlicher Translationsleistungen um ein Vielfaches geringer war als
die schriftliche Übersetzung – heute stellt sich dieses Verhältnis gerade konträr
dazu dar.
Gerichtlich beeidete Dolmetscher
Im Folgenden soll eine Untersuchung der in Wien tätigen gerichtlich beeideten
Dolmetscher über ihre Arbeit detailliert Aufschluss geben und ihr Beitrag zum
Funktionieren des Vielvölkerstaates herausgearbeitet werden. Listen gerichtlich
beeideter Dolmetscher (die Tätigkeit von Frauen ist nicht belegt) werden für
Wien in Lehmanns Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger ab dem Jahr 1864 geführt.129
Die folgende Studie wertet die Daten aller in den Jahren 1864 bis 1918 ange
führten beeideten Dolmetscher aus.
Im untersuchten Zeitraum zwischen 1864 und 1918 besorgten (in absoluten
Zahlen) 7.031 beeidete Dolmetscher (die zum Teil über lange Jahre hinweg
tätig waren und hier in vielfacher Nennung aufscheinen) Dolmetschungen und
Übersetzungen für insgesamt 29 Sprachen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit
wurden in diese Analyse alle Angaben, also auch Doppel und Mehrfachnen
nungen, über die Jahre hinweg aus den genannten Listen inkludiert, wodurch
etwaige Entwicklungen wie etwa die Trennung von »Serbisch Kroatisch« in
»Kroatisch« und »Serbisch« ab 1879 bzw. 1882 nicht berücksichtigt werden
konnten. Ebenso mussten Details unberücksichtigt bleiben wie die Vereinheitli
chung der nur in den Jahren 1864, 1867 und 1868 bestehenden Einrichtung der
beeideten Dolmetscher für »Jüdische Schrift« und der Sprachen »Hebräisch«
(ab 1870) bzw. »Spanisch Hebräisch« (ab 1871) ; Letztere stellen offensichtlich
eine Fortsetzung der »Jüdischen Schrift« dar. Tabelle 6 liefert die Zusammen
setzung der Sprachen in absoluten Zahlen.
129 Lehmann gibt im Jahr 1861 zum ersten Mal eine Liste mit Dolmetschern an, aus der jedoch
nicht eindeutig hervorgeht, dass es sich um beeidete Dolmetscher handelt. 1862 und 1863 ist
Lehmann nicht eruierbar. Der Niederösterreichische Amtskalender erschien zum ersten Mal 1865,
führt in diesem Jahr jedoch noch keine Gerichtsdolmetscher an. Es ist davon auszugehen, dass
gerichtlich beeidete Dolmetscher ebenso wie heute nicht nur vor Gericht eingesetzt wurden,
sondern vor allem für die Beglaubigungen von Übersetzungen ; andernfalls wäre ihre hohe Zahl
nicht gerechtfertigt.
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437