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»Polykulturelle Translation« 141
beeideten Uebersetzer vidimirten italienischen Uebersetzungen zu versehen«. Das
Ministerium des Innern wiederum verfügte, dass das Apothekergremium Vor
sorge zu treffen hätte, »dass es wenigstens durch einen verlässlichen Uebersetzer
Kenntnis vom Inhalt des betreffenden slavischen Schriftstückes erhalte« (AVA,
3, Karton 51, Zl. 55819/03, Hervorh.v.mir).
Zu Fragen des Sprachgebrauchs bei Gericht sind zahlreiche Fälle dokumen
tiert, die ein uneinheitliches Vorgehen vonseiten der Gerichtsbehörden festhalten,
womit der hybride Charakter freigelegt wird, der der Praxis der Translation in ih
ren unterschiedlichen Konstellationen eingeschrieben ist. Ein Fallbeispiel aus der
gerichtlichen Praxis in Triest belegt diese »Uneinheitlichkeit« in der sprachlichen
Handhabe besonders eindringlich : Aus einem gerichtlichen Verfahren aus dem
Jahr 1898 liegt ein slowenischsprachiges Einvernahmeprotokoll mit deutschspra
chigem Aktenvermerk und einem italienischsprachigen Eingangsstempel vor.
Weiters wird vom Untersuchungsrichter ein Schreiben an die Polizeidirektion in
Triest in italienischer Sprache verfasst, an das Bezirksgericht Sežana jedoch auf
Deutsch (Czeitschner 1997 : 45f.). Ebenso »unvollkommen« wurde der sprachli
chen Gleichberechtigung im Grazer Oberlandesgericht, ebenfalls im Jahr 1898,
begegnet, als in einem Streitfall, der ausschließlich slowenische Parteien und An
wälte betraf, auf Deutsch verhandelt wurde, Beschwerden von slowenischer Seite
blieben erfolglos. Ein besonders auffälliges Beispiel wird aus Kärnten berichtet :
Während slowenische Parteien in der Krain und Untersteiermark Rechtsmittel
entscheidungen in slowenischer Übersetzung erhielten, erging der Auftrag auf
Anfertigung slowenischer Übersetzungen in Kärnten nie ; als er einmal irrtümlich
erfolgte, wurde er sogleich zurückgezogen (Stourzh 1980 : 1111).
Andererseits befanden es die Justizbehörden auch für notwendig, die »sehr
zahlreichen Uebersetzungen obergerichtlicher Erledigungen auf das unvermeid
liche Mass zu beschränken« (Pražák 1886 : 174), wie im Falle der Übersetzun
gen zwischen Tschechisch und Deutsch beim Oberlandesgericht in Prag : 1886
verfügte Justizminister Alois Pražák für Praha/Prag und Brno/Brünn im Zuge
einer erweiterten Berücksichtigung der tschechischen Sprache einen Erlass, der
besagte, dass in Fällen, in denen oberlandesgerichtliche Erledigungen den Par
teien nur in tschechischer Sprache zukommen sollten, nunmehr auch die Re
ferentenanträge und die Entwürfe der Erledigungen in tschechischer Sprache
verfasst sein sollten. Damit war das Tschechische auch als innere Amtssprache
eingeführt. Die Folgen dieser Bestimmung waren weitreichend, nicht zuletzt,
da die Zahl der Übersetzungen dadurch sprunghaft abnahm ; allein im Jahre
1865 waren aus dem Deutschen ins Tschechische rund 9.000 juridische Über
setzungen angefertigt worden. Die Tatsache, dass diese Flut an Übersetzungs
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437