Seite - 156 - in Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
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156 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie
die verzögerte Veröffentlichung des böhmischen Textes des Reichsgesetzblattes
dokumentiert, in der dieser feststellt, dass es in der vergangenen Zeit zur Re
gel geworden sei, den böhmischen Text erst mehrere Monate nach der Versen
dung des deutschen Textes herauszugeben. Damit würden die Interessen jener
Staatsbürger verletzt, denen nur der böhmische Text verständlich sei (AVA, 40/1,
Karton 2784, Zl. 16718/901). Solche Beschwerden scheinen in den Akten in
großer Zahl auf ; die meisten von ihnen beinhalten das Argument der man
gelnden Interessenswahrung der verschiedenen Nationalitäten des Reichs durch
die verspätete oder gar ausgebliebene Zusendung des Reichsgesetzblattes, und
viele nahmen auf die Bestimmungen von Artikel 19 Bezug. Die Bedeutung des
Phänomens Übersetzung für die Wahrung der Rechte und Pflichten der Staats
bürgerInnen der Monarchie wird hier einmal mehr evident.
Die Geschehnisse des Ersten Weltkrieges beeinflussten die Produktion und
rechtzeitige Versendung des Reichsgesetzblattes in erheblichem Ausmaß ; die
in Erwägung gezogene Einrichtung einer ständigen Nachtschicht in der Hof
und Staatsdruckerei zur Beschleunigung von Herstellung und Versand war
durch den Personalmangel, die Unmöglichkeit des Erwerbs einer Spezialrota
tionsmaschine in Kriegszeiten und den kriegsbedingten frühen Betriebsschluss
der Straßenbahnen, der den Transport der Arbeiter zu ihrem nächtlichen Ar
beitsplatz nicht erlaubte, nicht zu bewerkstelligen (AVA, 40/1, Karton 2792, Zl.
53186/18). Neben den Verzögerungen in der Aussendung kam es auch durch
den zunehmenden Papiermangel zu Problemen in der Drucklegung : Im März
1918 konnte etwa wochenlang kein Druck der – bezeichnenderweise – nicht
deutschen Ausgaben des Reichsgesetzblattes erfolgen. Ein Erlass des Ministeri
ums des Innern vom 15. April 1918 bestimmte zum Zweck der Behebung dieser
Probleme, dass jene Firmen der Papierindustrie, die die Erzeugung von »Staats
notwendigkeitspapieren« besorgten, zuverlässig mit den erforderlichen Koh
lenmengen beliefert werden sollten (AVA, 40/1, Karton 2792, Zl. 25194/18).
Auch wurden mit fortschreitender Kriegsdauer die Bitten um die Zusendung
von Ersatzexemplaren dringlicher, da zahlreiche Bestände der Behörden durch
Kriegshandlungen vernichtet worden waren.
Administrativer und finanzieller Aufwand
Wie bereits oben kurz erwähnt, wurden die Translatoren des Redaktionsbureaus
auch für andere Übersetzungsarbeiten herangezogen und dafür zumeist separat
entlohnt ; aus dem Jahr 1910 ist z. B. die Übersetzung des Eisenbahnbetriebs
Reglements bekannt, insgesamt 62 Druckseiten, die die Redakteure außerhalb
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437