Seite - 178 - in Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
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178 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie
Notfalle könnte das Schriftstück dem k. u. k. Ministerium des Äußern mit der
Bitte um Übersetzung vorgelegt werden (ibid.). Es wird also auch hier nicht
auf (eher) professionelle Übersetzer zurückgegriffen, wie sie etwa in den Zent
ralstellen in Wien im Redaktionsbureau des Reichsgesetzblattes (Ministerium
des Innern) oder auch im Departement für Chiffre und translatorische Arbei
ten (Ministerium des Äußern) beschäftigt waren (die Inanspruchnahme dieser
Translatoren war, wie erwähnt, eher eine Ausnahme, siehe dazu auch unten),
sondern vielmehr auf Ungarisch sprechende Beamte, die diese Übersetzungs
arbeit übernehmen sollten – die Frage, ob der jeweilige Beamte Ungarisch zur
Muttersprache hatte oder nicht, wurde dabei nicht erörtert. Es handelt sich so
mit wiederum um eine sehr geringfügig institutionalisierte Form des Überset
zens, die als Abwertung der Übersetzungstätigkeit interpretiert werden kann.
Ein ebenfalls vom Außenminister ausgegebenes Zirkular vom 23. Oktober
1909 regelt das hier diskutierte Problem der Übersetzung von Eingaben und
Zuschriften bei k. u. k. Vertretungsbehörden für die deutsche Sprache, jedoch
sind darin zwei Zusätze zu finden : Zum einen habe der Beamte, der die Über
setzung ausführe, für die Richtigkeit seiner Übersetzung die Verantwortung zu
tragen, zum anderen sei die Übersetzung, so sie nicht von einem Beamten der
Monarchie ausgeführt würde, in jedem Fall kostenlos zu erledigen (HHStA,
Administrative Registratur, Fach 4, Karton 462, Zl. 85935/09). Etwaige Fol
gen, die sich aus der den Beamten übertragenen Verantwortung für die eigene
Übersetzung ergeben konnten, sind nicht bekannt. Es ist davon auszugehen,
dass durch diese Übertragung der Verantwortung auf die Beamten ein gewisser
Druck in Richtung Qualitätsverbesserung ausgeübt wurde, der zweifelsohne
eine – wenn auch nur eingeschränkte – Aufwertung der translatorischen Tä
tigkeit implizierte. Andererseits – und im Widerspruch dazu stehend – wurden
jene Übersetzungen, für die kein k. u. k. Beamter zur Verfügung stand, gratis
ausgeführt, was, wie erwähnt, einmal mehr zu einer abwertenden Haltung ge
genüber der übersetzerischen Tätigkeit beitrug.
Eine Kurrende des Außenministeriums vom 2. Dezember 1918 schließlich
spiegelt die Auflösungstendenz der Monarchie und die daraus resultierenden ge
änderten sprachlichen Anforderungen klar wider : »Infolge Abreise zahlreicher
Beamter nach Budapest zur Dienstanmeldung beim ungarischen Ministerium
des Äußern wurde der Stand an ungarischen Beamten derart verringert, daß sich
die ungarische Korrespondenz nicht mehr aufrecht erhalten läßt. Es wird daher
verfügt, daß von nun an auch mit ungarischen Behörden und Parteien deutsch
zu korrespondieren ist« (HHStA, Administrative Registratur, Fach 4, Karton
428, Zl. 106731/18).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437