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184 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie
Daß es sich bei der Ausbildung nicht um eine solche für niedere Beamte oder Dol-
metscher handelte, bestätigten auch die Außenstehenden, wenn die studiosi der
Jurisprudenz der Wiener Universität von ihren Kollegen der Akademie als von
den »Diplomatenlehrbuben« sprachen. (Pfusterschmid Hardtenstein 1989 : 141,
Hervorh.v.mir)175
Die Konkurrenz mit der Universität trat mehrfach zutage, und zwar nicht nur
aus Kostengründen, sondern auch aufgrund des Selbstverständnisses der Univer
sität, eine wissenschaftlich fundierte und durch die Öffentlichkeit kontrollierte
Ausbildungsstätte zu gewährleisten ; hinzukam gegen Ende des Jahrhunderts der
Vorwurf, den gewachsenen Anforderungen in Handelsangelegenheiten in der
Ausbildung nicht genügend Rechnung zu tragen. Es muss jedoch angemerkt wer
den, dass die Orientalische Akademie sich zwar nicht als wissenschaftliche For
schungsstätte sah (und dies auch nicht ihr Auftrag war), dennoch gab es Bestre
bungen, über das Vermitteln von Sprachkenntnissen hinaus auch wissenschaftliche
Leistungen zu vollbringen wie etwa die Edition orientalistischer Werke (z. B. die
Anthologia persica) oder die aufwändige Neubearbeitung des damals vergriffenen
Wörterbüches der orientalischen Sprachen aus der zweiten Hälfte des 17. Jahr
hunderts von Johann Franz Mesgnien von Meninski, die unter reger Mitarbeit
zahlreicher Studenten zustande kam (vgl. Pidoll Quintenbach 1898 : 4).
Die allmähliche Entwicklung der Orientalischen Akademie zur eigentlichen
Vorbereitungsanstalt für den konsularischen Dienst führte am Ende des 19.
Jahrhunderts zum Ruf nach einer tief greifenden Veränderung der bestehen
den Ausbildungsverhältnisse. Die veränderten wirtschaftlichen und politischen
Umstände – der Einfluss des Osmanischen Reiches war sukzessive im Sinken
begriffen, internationale Beziehungen hatten sich verstärkt, und die diplomati
schen Missionen expandierten in Richtung Wirtschaftsangelegenheiten – führ
ten zu einer radikalen Umstrukturierung der Orientalischen Akademie, die 1898
175 Auch in dem auf Initiative von Otto von Bismarck 1887 gegründeten »Seminar für Orientalische
Sprachen« in Berlin schien die Statusfrage eine große Rolle gespielt zu haben. Die Bezeichnung
»Dragoman« wurde 1894 von dem Direktor des Seminars, Eduard Sachau, als problematisch
bezeichnet, da sie levantinischer Herkunft sei und daher als subaltern angesehen werde ; vorge
schlagen wurde die Bezeichnung »Sekretar
Interpreten« (Wilss 2000 : 61). Dass die Bezeichnung
»Dragoman« sich nicht ausschließlich auf den Tätigkeitsbereich im diplomatischen Dienst bezog,
beweist ein Bericht, in dem die Tochter des ehemaligen Chefs der österreichischen »Levante
Post« in Istanbul von einem Dragomanen spricht, der dem Vater als »persönlicher Bürodiener«
zu sprachmittlerischen Zwecken während seiner Tätigkeit in Istanbul zugeteilt war (Schinnerer
Kamler 1987 : 117).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437