Seite - 186 - in Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
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186 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie
dige Beherrschung des Idioms in Wort und Schrift« ; zu diesem Zweck wurde
die sogenannte »analytische Methode« angewandt, nach der die Hörer zunächst
mit dem notwendigen Vokabular bekannt gemacht wurden und erst danach auf
dessen Grundlage die Grundkenntnisse der Grammatik erlernten. Damit wurde
dem Anspruch Genüge getan, dass »das betreffende Idiom […] direct vom
Munde des Lehrers an das Ohr des Schülers« gelangte, ohne den Umweg über
die Muttersprache. In einer zweiten Phase wurden in der Fremdsprache abge
fasste Texte unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades analysiert und die Schüler
angehalten, den analysierten Text sukzessive in der Fremdsprache neu zu bilden.
Die auf diese Weise erzielte schriftliche Textkompetenz sollte schließlich nicht
nur zu der Fähigkeit führen, in der fremden Sprache zu denken, sondern auch
das fremdsprachliche Vokabular ständig zu erweitern. Begleitet wurde dieser
Ansatz durch das »theoretische und praktische Studium der grammatikalischen
Fragen«. In einer weiteren Stufe des Sprachunterrichts nahm schließlich das
Übersetzen eine prominente Rolle ein, doch durfte es erst in Angriff genom
men werden, wenn sich die Studenten einigermaßen kompetent in der fremden
Sprache auszudrücken vermochten. Das Übersetzen diente offensichtlich (wie
schon die im 18. Jahrhundert praktizierte Methode in den Übersetzungen aus
dem Lateinischen) nicht der Erlernung der Sprach oder Kulturmittlung, son
dern – im philologischen Sinn – ausschließlich dem Spracherwerb ; dadurch
sollte dem Studenten Präzision und Feinheit des Ausdrucks vermittelt und eine
Bereicherung des Vokabulars ermöglicht werden. Die vierte Phase der Sprach
ausbildung schließlich umfasste das selbständige Verfassen von Aufsätzen über
Themen schwierigeren Inhalts (ibid.: 44f.).
Wie ersichtlich ist, handelt es sich hier um ein Konzept des Spracherwerbs,
das zwar in großen Teilen moderne Züge aufweist und vor allem in seiner Beto
nung des selbsttätigen Lernens und seiner Gewichtung der selbständigen Text
produktion durchaus innovativ war, doch ist die gerade durch die Tätigkeit des
Übersetzens – die in Pidoll Quintenbachs didaktischem Konzept eine wichtige
Phase einnimmt – sehr wohl mögliche kulturmittlerische Dimension der Ausbil
dung praktisch inexistent. Methodisch ist dies auf ein Konzept von Übersetzen
zurückzuführen, das der – unter vielfachen Aspekten – mittlerischen Funktion
angehender Gesandter in keiner Weise gerecht wird und lediglich auf den philo
logischen Aspekt des Übersetzens reduziert bleibt, funktionell gesehen tritt eine
Förderung bzw. Ausbildung kulturmittlerischer Fähigkeiten hinter die Ausbil
k. und k. Orientalischen Akademie hier vorschlug, wurde tatsächlich als Studienplan übernommen
und hatte bis auf geringfügige Abänderungen bis 1918 Gültigkeit.
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437