Seite - 210 - in Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
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210 »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor
zess der Institutionalisierung nicht unähnlich, weist jedoch gerade unter Einbe
ziehung der strukturellen Beschaffenheit der AkteurInnen und der Kapitalien,
die sie zum Einsatz bringen (siehe unten), um ein Vielfaches komplexere und
auch wiederum schwächere Strukturen auf. Bourdieu betont, dass sich die Au
tonomie nicht auf die von Mächtigen (im vorliegenden Fall etwa Auftraggeber
von Übersetzungen an Personen, die keiner einschlägig strukturierten Ordnung
unterliegen) gewährte Unabhängigkeit beschränkt, sondern unter anderem
von der Herausbildung spezifischer Traditionen und eigenständiger Institutio
nen (etwa Interessensverbände oder kollektive Zusammenschlüsse), die auf die
AkteurInnen des betreffenden Feldes einwirken, bestimmt ist (Bourdieu 1999 :
350) ; diese sind zwar im vorliegenden Kontext ansatzweise vorhanden (Stich
wort : Dolmetschkanzlei beeideter Dolmetscher), doch kann von einer Instituti
onalisierung der Berufssparte nicht zuletzt aufgrund der Kurzlebigkeit zahlrei
cher Übersetzungsbüros nicht die Rede sein.
So gesehen sind die zahlreichen Einzelpersonen, die, wie den Inseraten zu
entnehmen ist, mit den Büros gemeinsam den privaten Übersetzungssektor be
streiten, anderen Autonomisierungsmechanismen unterworfen als die Überset
zungsbüros : Erstere sind durch ihre doppelte (oder sogar mehrfache) Kontex
tualisierung im allgemeinen Berufsfeld vielfältigen Zwängen ausgesetzt, die in
anders strukturierter Form auch im »Feld« des privaten Übersetzungssektors vor
handen sind (viele der Übersetzungsdienste anbietenden Personen/Individuen
sind etwa Sprachlehrer, andere »Professor an der Handelsakademie und an der
Orientalischen Akademie«, andere wiederum sind als Redakteure tätig), Letz
tere werden durch die sukzessive Etablierung eines institutionalisierten privaten
Übersetzungswesens allmählich von solchen sekundären oder tertiären Zwängen
entbunden und einer bestimmten Logik folgenden Ordnung (bzw. Dynamik)
im sich herausbildenden Vermittlungsraum privater Übersetzung unterworfen.
An einzelnen Personen, die den Übergang vom individuellen Übersetzer/zur
individuellen Übersetzerin zum Begründer bzw. Leiter eines Übersetzungsbüros
bewerkstelligen und damit auch den neu geschaffenen Marktzwängen ausge
setzt sind, ist die Überführung in diese »Ordnung« deutlich festzumachen. Ein
Beispiel dafür ist etwa A.F. Heksch, der seine Übersetzungsdienste ab 1876 als
Einzelperson und bereits fünf Jahre später im Rahmen eines Übersetzungsbü
ros, das auf seinen Namen lautet, anbietet. Ähnliches ist bei Bertrand Walko
oder Edmund Wolschan zu vermerken, die – zumindest ihren Inseraten nach
zu schließen – nach anfänglichen bescheidenen Versuchen als Einzelübersetzer
schon nach wenigen Jahren zu den wenigen großen Übersetzungsbüros Wiens
»aufstiegen«. Andererseits war es im späten 19. Jahrhundert durchaus üblich,
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437