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Regelnde Faktoren einer Übersetzungspolitik 219
Die revolutionären Ereignisse im März 1848 führten zwar vorübergehend zur
Abschaffung der präventiven Zensur, doch das Silvesterpatent von 1851 bremste
diesen Liberalisierungsprozess durch eine neuerliche Einschränkung der frei
heitlichen Pressegesetze : Jede Druckschrift musste nun drei Tage, jedes Perio
dikum eine Stunde vor der Veröffentlichung bei der Behörde deponiert werden
(vgl. Ogris 1975 : 540f. bzw. Bachleitner/Eybl/Fischer 2000 : 165f.). Es hatte
sich also gegenüber der Zeit vor 1848 wenig geändert. Erst das »Preßgesetz«
von 1862 (RGBl. 6/1863) sollte entscheidende Veränderungen bringen und die
Kontrolle auf Periodika (gleichzeitig mit ihrer Auslieferung) und Schriften mit
einem Umfang von weniger als fünf Bogen beschränken.
Der von Anton Einsle erstellte Catalogus Librorum in Austria Prohibitorum.
Verzeichnis der in Oesterreich bis Ende 1895 Verbotenen Druckschriften (Einsle
1896)192 weist die für Pressebelange relevanten Paragraphen der Strafgesetz
gebung auf, die von Hochverrat und Majestätsbeleidigung bis zur Störung der
öffentlichen Ruhe, Aufwiegelung gegen Staatsbehörden, Verletzung der Sitt
lichkeit und Ehrenbeleidigung reichen. Insgesamt scheinen in den Verbotslis
ten rund 3.800 Veröffentlichungen auf, darunter 119 Übersetzungen, also etwa
3,15 % (siehe dazu im Detail Bachleitner/Wolf 2010b : 34). Allein in den ers
ten drei Jahren nach Inkrafttreten des neuen »Preßgesetzes« waren 389 Verbote
ausgesprochen worden. Die neuen Bestimmungen führten – allerdings unter
geänderten Vorzeichen – zu gravierenden Eingriffen in den (literarischen)
Produktions und Distributionsprozess und damit zu geänderten Verhältnis
sen zwischen AutorInnen bzw. ÜbersetzerInnen und Verlagen : Erstere übten
nun aufgrund drohender Beschlagnahme bereits gedruckter Bücher vermehrt
Selbstzensur – was auch von der Arbeit der ÜbersetzerInnen anzunehmen ist –,
Letztere wachten verstärkt über den Inhalt der von ihnen verlegten Schriften,
war doch der wirtschaftliche Schaden im Falle der Beschlagnahme ungleich
höher als zuvor, denn wenn gleich mehrere Werke eines Verlegers verboten
wurden, bedeutete dies den sicheren Ruin (Bachleitner/Eybl/Fischer 2000 : 202
bzw. bereits Eckardt 1919 : 235). Gewöhnlich war mit dem Verbot einer Druck
schrift auch die Übersetzung derselben gemeint. Wie weit Selbstzensur tatsäch
lich geübt wurde, ist schwer feststellbar, sollte jedoch als Antizipation drohender
Repressivmaßnahmen und in jedem Fall als das Resultat »erfolgreicher Zensur«
gerade im Kontext der übersetzerischen Tätigkeit nicht unterschätzt werden.
192 Dieser wurde für den Zeitraum bis 1901 in einem Supplementum von Carl Junker (1902) er
gänzt.
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437