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»Übersetzen am laufenden Band«. Eine Übersetzungsstatistik 237
Wittmann (1999 : 290) ortet auch einen Wandel im Lektürekonsum, der sich
von einer aktiven, in der Kommunikation über Lektüre in Lesezirkeln u.a. ge
sellschaftlichen Formierungen manifestierenden Rolle zu einer passiven, eher es
kapistischen Rolle vollzieht, in deren Rahmen Lektüre »ohne soziale Relevanz«
aufgenommen wurde. Die Anonymisierung des Rezeptionsverhaltens schließlich
geht mit dem Verlust des Prestigewertes von Lektüre einher, was wiederum da
rauf zurückzuführen ist, dass literarisch ästhetisches Wissen nur mehr in einge
schränktem Maße einen Indikator für den sozialen Rang darstellt. Die Benütze
rInnenfrequenz von Leih und Volksbibliotheken gibt weiteren Aufschluss über
ein gesteigertes Leseinteresse. Die Ergebnisse von Alberto Martinos detaillierten
Studien zu den Wiener Leihbibliotheken sind eindeutige Signale : Betrug etwa
der KundInnenstamm in den 20 Wiener Leihbibliotheken Anfang der Neunzi
gerjahre 6.000 Personen, die sich wahrscheinlich zum Teil mit den 8.000 Lese
rInnen der 14 Volksbibliotheken deckten, so wuchs allein die LeserInnenschaft
der im Jahre 1898 bereits auf 25 angewachsenen Volksbibliotheken auf 20.000
(Martino 1989 : 96). Genaue Kenntnisse über den Buchbesitz in den verschiede
nen Bevölkerungsschichten könnten ebenso wertvolle Informationen zum Bil
dungsstand bzw. zum Lektüreinteresse liefern, doch sind dazu noch umfassende
Auswertungen aus Nachlässen u.a.m. ausständig. Einen wichtigen Schritt in
diese Richtung stellt die Studie Bürgerliche Lesekultur im 19. Jahrhundert (Yama
nouchi 2002) dar, in der die kulturelle Praxis des Büchersammelns anhand von
zehn bürgerlichen Privatbibliotheken in Wien mit den Literaturbeständen ei
niger Wiener Leseanstalten bzw. »adeliger Bibliotheken« in Bezug gesetzt wird.
Yoshiko Yamanouchi ortet einen deutlichen Unterschied im Bildungsideal und
damit im Lesegeschmack der bürgerlichen und nicht bürgerlichen Korpora und
interpretiert die graduelle, vor allem um die Wende zum 20. Jahrhundert einset
zende »Fachspezialisierung und Fraktionierung der bürgerlichen Intelligenz« als
Verlust der Allgemeingültigkeit des Bildungswissens (ibid.: 188f.).
Die mit der breiten Anwendung des bereits diskutierten Artikels 19 von 1867
einhergehende tendenzielle Abnahme des Phänomens der Plurilingualität in
der Habsburgermonarchie verleitet zu der Annahme, dass längerfristig Über
setzungen den gestiegenen Lektürebedarf zu decken hatten, denn es stellt sich
die Frage, ob die aus Tabelle 3 (siehe Kapitel 3) ersichtliche Zunahme an Ori
ginalproduktionen in den einzelnen Sprachen diesbezüglich der Nachfrage zur
Gänze entsprochen hatte oder nicht. Wie sich der Übersetzungsmarkt in der
Habsburgermonarchie in den Jahren 1848 bis 1918 im Speziellen für die Über
setzungen ins Deutsche entwickelt hat, wird im Folgenden anhand der Auswer
tungen verschiedener Übersetzungsbibliografien aufgezeigt.
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437