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Der Vermittlungsraum italienischer Übersetzungen 265
von kultureller Vielfalt zu kultureller Differenz eingefordert wird (Csáky 2002c :
44). Die Berührungspunkte zu einer postkolonialistischen Auffassung von Kul
tur als Grundlage für die Betrachtung einer habsburgischen Geistesgeschichte
sind hier offensichtlich : Der Blick auf die Monarchie als Kolonialmacht impli
ziert die Frage nach den ihr inhärenten Dominanzverhältnissen und daraus re
sultierend nach der ständigen Neuverortung ihrer in heterogenen Lebenswelten
agierenden Subjekte (vgl. Ruthner 2002b : 46).
Die Autoren der hier skizzierten methodischen Zugänge sind sich darin ei
nig, dass die um die Jahrhundertwende einsetzende Hochblüte des geistigen und
kulturellen Lebens unter anderem im Liberalismus und in einem aufstrebenden
Bürgertum, das seinen sozialen Aufstieg nicht zuletzt einer liberalen Politik ver
dankt, zu verorten ist. Die »Modernisierung«, die sich in einer zunehmenden
Ausdifferenzierung der Produktionsweisen und einer daraus resultierenden Seg
mentierung der Gesellschaft äußerte (Csáky 2002a), stellte in verstärktem Maße
traditionelle Gesellschaftsstrukturen infrage und führte zwar zu einer dynami
schen wirtschaftlichen Entwicklung, ließ jedoch gleichzeitig krasse soziale Ge
gensätze entstehen bzw. schrieb diese fest.225 Die auf die Städte der Monarchie
ausgerichteten Migrationsbewegungen trugen zur Verstärkung sozialer Span
nungen bei und führten zusätzlich zur Schaffung hybrider Befindlichkeiten, die
für die Konfiguration der Monarchie charakteristisch wurde. Csáky argumen
tiert, dass diese Prozesse in ihrem Zusammenspiel auch eine anspruchsvolle Öf
fentlichkeit auf den Plan riefen, die eine differenziertere Argumentationsweise
von Kunst und KulturproduzentInnen verlangten (ibid.). Unterstützt wurden
diese Forderungen durch verschiedene allgemein wirtschaftliche bzw. gesetzli
che Entwicklungen wie eine Lockerung der der Zensur folgenden Gesetzge
bung, die Liberalisierung des Buchmarkts, Verbesserungen in der Buchdruck
kunst, den Aufstieg des Journalismus oder die Kunst und Literaturförderung.
Die Konzentration dieser heterogenen und in sich widersprüchlichen Kon
stellationen fand sich in Wien, dem unwidersprochenen Zentrum der Macht
– »Wien war mehr als nur die Hauptstadt des Habsburgerreiches, Wien war
ein Geisteszustand« (Johnston 1974 : 127) –, wo die Akkumulation von Kapital
und Verwaltung zu vielfachen Abhängigkeits und Vergünstigungsverhältnissen
führte. Hier standen einander ein reges künstlerisches und intellektuelles Leben,
das sich auch in architektonischer Pracht äußerte, und die sozialen Probleme in
225 Mommsen spricht in diesem Zusammenhang von einer »Monarchie der Gegensätze« (Momm
sen 1985 : 10). Siehe die Zusammenhänge zwischen sozialen Spannungen und kultureller Hoch
blüte auch in Fuchs (1996).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437