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270 Der Vermittlungsraum italienischer Übersetzungen
Architekten oder Hofpoeten zu wirken.232 Vor allem in der Residenzhauptstadt
ist die italienische Präsenz in der konzentriertesten und mannigfachsten Form
nachzuweisen.233 Unter den Handwerkern können die Rauchfangkehrer auf die
längste Tradition in der Monarchie zurückblicken ; der erste Rauchfangkehrer
meister, Johannes von Mailand, ist bereits im Jahr 1512 in Wien dokumentiert.
Insgesamt lag das Handwerk der Kaminfeger vom 16. bis zum Ende des 19.
Jahrhunderts fast durchwegs in der Hand von Italienern. Zunächst kamen sie als
wandernde Gesellen, ließen sich jedoch in der Folge nieder und schlossen sich
im 17. Jahrhundert zu Zünften zusammen. Das Aufblühen des Gewerbes ist
nicht zuletzt auf die Verwendung neuer Kamine nach italienischem Vorbild zu
rückzuführen, die von italienischen Baumeistern gebaut wurden und die bis da
hin gebräuchlichen deutschen ablösten (Ricaldone 1986 : 135f.). Insgesamt ent
wickelte sich das Wiener Rauchfangkehrergewerbe rasch zu einem ökonomisch
vielversprechenden Handwerk. Einerseits war das Kehren der Kamine behörd
lich geboten, andererseits bestand seit etwa der Mitte des 17. Jahrhunderts das
Erblichkeitsrecht der Betriebe. Letzteres erlaubte es den Rauchfangkehrermeis
tern, das Gewerbe fast zu monopolisieren und eine enge Verbindung mit ihren
Herkunftsregionen (vorrangig Norditalien, Tessin und Piemont) aufzubauen ;
dies wiederum führte zur Fortsetzung enger verwandtschaftlicher Beziehungen,
da neu aufgenommene Rauchfangkehrer meist aus diesen Regionen herbeigeru
fen wurden. Durch dieses Netzwerk blieb das Gewerbe in einer überschaubaren
und leicht zu kontrollierenden Gruppe von Meistern. In der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts wurde das italienische Monopol langsam aufgebrochen, und es
wanderten junge Männer aus Böhmen, Mähren und Ungarn nach Wien und in
andere habsburgische Großstädte, um in der Stadt eine Lehre als Rauchfang
kehrer aufzunehmen (Steidl 2003 : 138f., 168).
Ein zweiter Handwerkszweig, der in der Monarchie über längere Zeit mehr
oder weniger fest in italienischer Hand war, ist die Seidenweberei. Die ersten
Seidenwebereien wurden im 16. Jahrhundert von norditalienischen und fran
zösischen Migranten gegründet, doch bereits in der Mitte des 18. Jahrhunderts
dominierten in Wien geborene Meister die Seidenmacherzunft, und im 19.
Jahrhundert stammten ca. 75 % aller selbständigen Seidenweber aus der Stadt
selbst. Dass die Seidenweber ab 1700 staatlichen Schutz genossen, ist darauf
zurückzuführen, dass sich Karl VI. aufgrund des vermehrten Bedarfs bei Hof
232 Zu einer genaueren Differenzierung zwischen »Elitenmigration« und »popularer Migration« von
ItalienerInnen nach Wien vgl. Ille/Rindler Schjerve/Vetter (2009).
233 Vgl. dazu den Begriff der »linguistic landscape« von Gorter (2006).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437