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Österreichisch-italienische Wahrnehmungen 271
von Seidentuch für Draperien, Teppiche, Kleider u.a. für die Ankurbelung des
Gewerbes einsetzte. Wurden Ende des 18. Jahrhunderts in Wien rund 3.000
Seidenwebstühle gezählt, waren es 1913 bereits 15.873. Die Wiener Seidenwe
ber bezogen ihren Rohstoff vorrangig aus den Seidenraupenzuchtgebieten in
Norditalien und Südtirol, was teilweise – wie auch bei den Rauchfangkehrern
– zur Bildung bedeutender Netzwerke zur »Nachwuchsbeschaffung« aus diesem
Raum beitrug (Steidl 2003 : 137, 174, 286 und Ricaldone 1986 : 138).234
Was die Präsenz von italienischen Baumeistern, Dichtern oder Musikern an
belangt, so gibt Luisa Ricaldone (1986) detailliert Hinweis auf das »italienische
Wien«. Sie weist in erster Linie auf die Arbeiten der Stadtarchitekten hin, die
der Wiener Innenstadt im 16. und 17. Jahrhundert eine bestimmte Prägung ver
liehen und doch nicht an die Ausdruckskraft der italienischen Renaissance an
schließen konnten – in den meisten Fällen handelt es sich trotz hervorragender
Leistungen (siehe etwa Pietro Ferrabosco, Francesco de Pozzo oder Giovanni
Battista Carlone) bestenfalls um gut gemeinte Nachahmungsversuche. In der
Malerei und Bildhauerei legte die geistliche und weltliche Herrschaft in Wien
vor allem nach den Türkenkriegen großen Wert auf Prachtentfaltung und vergab
zahlreiche Aufträge an italienische Künstler. Die Hofpoeten, offizielle Dichter
des Hauses Habsburg, waren ein sehr begehrtes Amt, das während der gesam
ten Dauer seiner Einrichtung nur von Italienern eingenommen wurde, darunter
Apostolo Zeno und Pietro Metastasio. Auch die Librettisten genossen hohes
Ansehen und waren am Hof des 18. Jahrhunderts gerne gesehene (Dauer )
Gäste, aus deren Begegnung mit den Komponisten bahnbrechende Werke her
vorgingen ; als Beispiele seien der Don Giovanni von Lorenzo Da Ponte und
Wolfgang Amadeus Mozart genannt235 oder Orpheus und Euridike von Ranieri
de Calzabigi und Christoph Willibald Gluck. Die Einflüsse der italienischen
auf die österreichische Musik waren insgesamt besonders ausgeprägt : Im Laufe
234 Auch die Erdarbeiter waren Teil des MigrantInnenstroms in die Monarchie ; ihre Anwesenheit
war jedoch saisonal bedingt. Viele Vorarbeiter in den großen Bauvorhaben der Semmeringbahn
oder der Donauregulierung fungierten auch als Dolmetscher, da die meisten Arbeitskräfte kein
Deutsch sprachen (vgl. Steidl 2009 : 32).
235 Sonja Puntscher Riekmann weist der Zusammenarbeit von Da Ponte und Mozart zu Recht eine
hohe Bedeutung zu und bezeichnet sie als »letzte[n] kulturelle[n] Höhepunkt [von] Transnatio
nalität« ; des Weiteren sieht sie sie als »deutsch italienische Symbiose, die einen flüchtig Macht
und Wert von Multikulturalität ahnen läßt. Dieser außergewöhnliche Augenblick ist […] das
Ergebnis […] eines Klimas kultureller Offenheit und Grandezza, des selbstverständlichen in
tellektuellen Austausches, einer ›gemeinsamen‹ Sprache und Rhetorik, die eine politische Basis
hatte« (Puntscher Riekmann 1992 : 145f.).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437