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320 Der Vermittlungsraum italienischer Übersetzungen
ihre Funktionen. Laut Genette besteht die Hauptfunktion des Vorworts darin,
eine »gute Lektüre des Textes zu gewährleisten«, worin er zwei Handlungen
ortet, nämlich erstens grundsätzlich eine Lektüre zu bewirken und zweitens zu
bewirken, dass diese Lektüre gut verläuft (Genette 2001 : 191). Genette weist
dieser Funktion deshalb eine große Bedeutung zu, weil seiner Meinung nach
der Autor als Urheber des Vorworts am stärksten und als Einziger an einer
guten Lektüre interessiert ist. An dieser Zuweisung wird die Vernachlässigung
des Phänomens ÜbersetzerInnenvorworte besonders augenfällig, da ja Über
setzer und Übersetzerinnen an einer solchen Wirkung in den meisten Fällen
in ähnlichem oder gleichem Ausmaß Interesse haben. Abgesehen von dieser
grundsätzlichen Funktion verfolgte das – wie immer bezeichnete – Vorwort zu
verschiedenen Zeiten unterschiedlich fokussierte Zwecke. Bis zum Beginn des
18. Jahrhunderts war es stark dem Diktat der Rhetorik unterworfen, was sich
in seiner Formelhaftigkeit und dem spezifischen Diskurs einer Verfeinerung
der captatio benevolentiae äußerte. Bevor das Vorwort an Prestige und damit an
Wirksamkeit als Steuerungselement einbüßte, trat seine Funktion als Träger
text und metatextbezogener Informationen stärker hervor, wie die genannten
Fallstudien klar illustrieren (vgl. v.a. Graeber 1990 und Grimberg 1998). Etwa
ab der Mitte des 19. Jahrhunderts nimmt das Vorwort durch veränderte Lesebe
dingungen und den damit einhergehenden Wandel an Rezeptionsverhalten an
Bedeutung ab, ohne jedoch seine Relevanz als Mittler zwischen Text, Außertext
und Produktions bzw. RezeptionsakteurInnen zu verlieren.
Die grundlegenden Funktionen von Vorworten sind demnach – mit unter
schiedlicher Schwerpunktsetzung und verbaler Ausformung – der Appell an
den Leser oder die Leserin (Letzteres zunehmend ab der Mitte des 18. Jahr
hunderts), der deklarierten Absicht des Buches zu folgen (»Absichtserklärung«
nach Genette 2001 : 214), des Weiteren die Rechtfertigung des Textes und die
Kritikabwendung. Das Vorwort ist der Paratext, in dem am deutlichsten die Be
ziehung zwischen der realen Welt des Autors oder der Autorin und der von ihm/
ihr geschaffenen »Textwelt« des Werks hergestellt wird ; somit ist es »der Ort,
an dem der Autor selbst spricht und die referenzielle Funktion (im Bezug auf
die Welt), die phatische Funktion (Beziehung zum Leser) als auch die reflek
tive Funktion (Bezug zum Text) gleichzeitig erfüllt« (Retsch 2000 : 56f.). Diese
Funktionen können sich, wie gerade die genannten Studien zu den Übersetze
rInnenvorworten belegen, auf vielfältige Weise manifestieren und reichen von
der Diskussion der ÜbersetzerInnen und HerausgeberInnenpraxis in bestimm
ten Epochen über die individuelle Gedankenwelt und Wertvorstellungen der
VorwortverfasserInnen bis zur Darlegung theoretischer Reflexionen. Für den
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437