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324 Der Vermittlungsraum italienischer Übersetzungen
unbedingt in Widerspruch zu einem Bekenntnis zur Originaltreue liegen ; von
Bedeutung ist vielmehr die Argumentation, die den jeweiligen übersetzerischen
Entscheidungen zugrunde liegt. So wird in vielen Beispielen mit Fachwissen (4,
18ah, 808f) oder, unter der Zusicherung der »Originaltreue«, mit triftigen Grün
den für Kürzungen bzw. Ergänzungen argumentiert (33 – der Bekanntheitsgrad
des Ariostschen Rasenden Roland gestattet, eine Auswahl der schönsten Epi
soden zu geben, 1136 – Unbedeutendes in der Biografie der Ordensschwester
Vincenza Gerosa, das nur für Angehörige der Protagonistin von Interesse ist,
wurde übergangen oder verändert, 1320a – einige Kapitel passen nicht im enge
ren Sinn zum Thema). Eine autonome translatorische Tätigkeit schlägt sich auch
in jenen Vorworten nieder, die angeben, die zahlreichen Glossen des (kunstkriti
schen) Fachtextes in pädagogischer Absicht angefertigt zu haben (711), oder die
offen bekennen, die Übersetzung zur Verbreitung bestimmter (religiöser) Ideen
angefertigt zu haben (789, 803). Der Großteil dieser Vorworte stammt aus den
letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts und stellt diesbezüglich eine
logische Entwicklung der Loslösung von strikt ausgangstextueller Orientierung
dar, die freilich nicht linear verläuft und sich auf ganz bestimmte Textsorten wie
Fachtexte (Kunstgeschichte, Medizin u.a.) sowie auf kanonisierte Texte wie etwa
die Klassiker von Dante Alighieri oder Ariost konzentriert.
In all diesen Vorworten wird zwar eine gewisse Unabhängigkeit vom Origi
naltext postuliert, jedoch kommt nicht zur Sprache, dass es sich bei der jeweiligen
Übersetzung um eine »Neuvertextung« handelt. Dieser Schritt wird nur verein
zelt unternommen und ist keiner chronologischen Entwicklung unterworfen ;
auffallend ist jedoch, dass die Benennung dieser Strategie fast ausschließlich in
Vorworten zu Fachtexten vorgenommen wird. Der Übersetzer der philosophi
schen Schrift Die Schöpfung oder das entschleierte Universum von De Beroaldo Bi
anchini (1851, 417), Jean Baptist Roßmann, erklärt, es sei für die Aufnahme des
Textes aus Gründen der Klarheit von Vorzug, »Neues zu schaffen«, und sichert
sich für dieses Unternehmen mit der Zusicherung ab, die Übersetzung unter
Hilfestellung des Autors verfertigt zu haben. Ein weiterer Paratext aus dem Jahr
1851 (46), auf den in der Folge aufgrund seines bedeutenden Konstruktcha
rakters für politische bzw. nationale Belange detailliert eingegangen wird (Ge-
schichte Italiens von den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1814), thematisiert die Neu
vertextung der Geschichte Cesare Balbos unter dem Aspekt der Weiterführung
der historischen Ereignisse bis zum Jahr 1851 und rechtfertigt diesen Schritt
mit dem Hinweis, dass dies »im Sinne des Autors« geschehe. Als »Bearbeitung«
des italienischen Originals bezeichnet schließlich der Übersetzer von Edmondo
de Amicis’ Marokko (1883, 406) sein Translat (das ebenfalls in der Folge genauer
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437