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344 Der Vermittlungsraum italienischer Übersetzungen
Julius Glaser (1831–1885), Jurist, Universitätsprofessor und Justizminister,
übersetzte und kommentierte im Rahmen seines Vorhabens, die Todesstrafe
abzuschaffen, das Standardwerk Cesare Beccarias Über Verbrechen und Stra-
fen (75) (vgl. dazu im Detail Sinzheimer 1953 : 129ff.). Die Bedeutung dieser
Übersetzung ist auch dadurch hervorgehoben, dass sie nach 25 Jahren (1876) in
überarbeiteter Neuauflage erschien. Nicht zuletzt als oft gesehener Gast in der
Villa Wertheimstein (Bartl 1990 : 99) kam Glaser mit zahlreichen Personen des
»geistigen Wien« in Kontakt und bestätigte damit sein soziales und symboli
sches Kapital im »Feld«.
Wie diese Beispiele zeigen, folgt diese wissenschaftlich ausgerichtete Ver
mittlungsarbeit anderen Kriterien als etwa die literarische, da spezifische, zu
meist in anderen Feldern kaum operierende Faktoren und AkteurInnen – unter
dem Einsatz eines für dieses Feld charakteristischen Sets von Kapitalarten – für
das Zustandekommen des kulturellen Produkts bestimmend sind. Ihr Beitrag
für die Rekonstruktion des translatorischen Vermittlungsraumes ist jedoch ge
rade aufgrund ihrer besonderen Ausrichtung von Erkenntnisinteresse.
Auch literarische Salons können als Vermittlungsinstanzen im Vorfeld von
Übersetzungen angesehen werden. Als gesellschaftlicher und künstlerischer
Kristallisationspunkt sind Salons zumeist Treffpunkt fortschrittlich gesinnter
Personen unterschiedlicher sozialer Schichten. Doch gerade die Tendenz des
Salons, »Personen verschiedener gesellschaftlicher Provenienz und Standeszu
gehörigkeit zu einer Verständigungsleistung in geselligem spezifischem Rahmen
zusammenzuführen« (Seibert 1993 : 3f.), bedeutet nicht notwendigerweise, dass
eine generelle soziale Offenheit des Salons »nach unten« auch immer gewährleis
tet ist. Dies mag einer der Gründe dafür sein, dass etwa in den Wiener Salons der
Jahrhundertwende außer einigen äußerst prominenten Personen wie Hugo von
Hofmannsthal oder Rainer Maria Rilke kaum ÜbersetzerInnen (zumindest den
Transfer Italienisch Deutsch betreffend) verkehrt hatten. Dies bedeutet jedoch
nicht, dass der Salon nicht grundsätzlich als Ort der Vermittlung von Überset
zung im engeren Sinn fungierte, wie gerade das Beispiel einer der bekanntesten
Salons im Wien der Jahrhundertwende bewies, nämlich jener von Berta Zucker
kandl, wenn auch nicht auf den italienischen Kontext bezogen. Berta Zucker
kandl nutzte ihren Salon als Vermittlungsinstanz für die Verständigung zwischen
österreichischer und französischer Nationalliteratur, die sie mit zahlreichen
Übersetzungen, der Anregung von Theateraufführungen oder Verlagskontakten
zu fördern versuchte. Im Rahmen dieser als »übersetzungspolitische Maßnah
men« zu bezeichnende Tätigkeit übersetzte Zuckerkandl auch selbst etwa 120
Theaterstücke ins Deutsche, von denen viele im Verlag von Paul Zsolnay, der
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437