Seite - 350 - in Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Bild der Seite - 350 -
Text der Seite - 350 -
350 Der Vermittlungsraum italienischer Übersetzungen
ren« macht und auf den sofortigen Erfolg sowie auf die unmittelbare Nachfrage
der Kundschaft281 ausgerichtet ist (Bourdieu 1999 : 228f.). Im habsburgischen
Kontext kann zum erstgenannten Pol etwa der Verlag Anton Schroll gezählt
werden (gegründet 1884, vgl. Verlag Anton Schroll 1984), der sich auf Archi
tektur und kunsthistorische Werke konzentrierte (1 Übersetzung, 47), oder
auch der L.W. Seidel Verlag, der nach seiner Trennung von Braumüller unter
anderem vorrangig militärische Werke und Kriegsgeschichte publizierte (vgl.
Junker 2001 : 362ff.; 2 Übersetzungen, 55, 786), während es sich im zweiten
Fall um Verlage wie Hartleben (18 Übersetzungen, vorrangig Romane und Er
zählungen), Braumüller (16 Übersetzungen, Fokus auf kunsthistorische Texte),
Mechitharisten (12 Übersetzungen, religiöse Schriften) oder den Wiener Verlag
(9 Übersetzungen, Novellen, Romane und Dramen) handelte. Die Logiken, die
den Produktions und Distributionsmechanismen der Verlage an diesen Polen
(und innerhalb des Kontinuums an Verlagen, die zwischen diesen Polen lie
gen) zugrunde liegen, bestimmen nach Bourdieu nicht nur die Lebensdauer der
Verlage, sondern auch deren Verlagspolitik im engeren Sinne, insbesondere die
Auswahl der zur Publikation bestimmten Manuskripte (Bourdieu 1999 : 236).
Für die Selektionsphase sind jedoch, wie aufgezeigt, nicht nur Verleger, sondern
auch andere AkteurInnen verantwortlich ; ein Beispiel dafür ist Eugen Guglia,
dessen Initiative für sein translatorisches Vorhaben, wie er im Vorwort seiner
Übersetzung andeutet, von ihm selbst ausging : »Durch dieses Büchlein versuche
ich dem deutschen Publikum eine Vorstellung von d’Annunzio als reinem Lyri
ker zu geben« (344). Guglia war insgesamt bemüht, D’Annunzio im deutschen
Sprachraum bekannt zu machen, wie auch andere Übersetzungen von Werken
des italienischen Autors beweisen (344a, 347, 365, 366, 373 ; vgl. dazu näher
Vignazia 1995 : 152f.).282
281 Die LeserInnenschaft ist freilich nicht in substanzialistischen Begriffen einer direkten Deter
minierung durch die »Nachfrage« zu denken, sondern in strukturellen Begriffen, die sich aus der
Aufsummierung verschiedener Faktoren ergeben. Vgl. dazu Pinto (1997 : 20f.).
282 Wie stark die sozialen Netze ausgeformt waren, die zur Entstehung von Übersetzungen führten,
ist an folgendem Zitat des deutschen Verlegers Diederichs zu sehen, das einem Brief an Rilke
im Jahr 1903 entnommen ist : »Marie Herzfeld ist meine Leonardo Übersetzerin und von einer
überaus großen Gewissenhaftigkeit. In ihrer Auswahl kommt eine große Verwandtschaft Leo
nardos mit Goethe zu Tage, die mich außerordentlich frappiert. Ich weiß aber nicht, wie weit das
auf Rechnung der Art der Auswahl zu setzen ist (29.12.1903)« (Hausmann 1988 : 31). Vgl. zur
(keineswegs friktionslosen) Zusammenarbeit zwischen Verlegern, AutorInnen und Übersetze
rInnen im Kontext des J.C.C. Bruns Verlags : Martens (1996).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437