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374 Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen
Dolmetschungen (im herkömmlichen Sinn) zwischen den involvierten Kultu-
ren (literarische und etwa auch diplomatische Übersetzungen) als auch Moden,
Strömungen, u.ä. aus dem Bereich des Alltagslebens, der Kunst, der Literatur
oder der Musik. Wichtig ist, dass diese Transfers nicht eindimensional, sondern
bereits in sich »kontaminiert« sind – spätestens hier wird deutlich, wie »hybrid«
kulturelle Produkte in sich bereits sein können : Auch Hermann Bahr meinte auf
die österreichische Literatur bezogen, es hätte keinen Sinn, sie als Teil der deut-
schen Literatur zu bezeichnen, weil »man wird Französisches finden, Deutsches,
Spuren aller Literaturen, denn mit allen ist unser Geist in Commerz gewesen«
(Bahr 1995 : 317). So ist etwa die Übersetzung eines Textes aus dem Englischen
ins Deutsche und seine nachfolgende Publikation in einem Wiener Verlag nicht
als eindeutige lineare Übertragung zu sehen, sondern als Prozess, der schon vor
der Inangriffnahme der Übersetzung seinen »Anfang« nahm, da der englische
Text bereits von Mehrdeutigkeiten und multiplen Kontextualisierungen durch-
setzt war. Bedeutend sind auch hier die verschiedenen Zwischenkategorien,
die in den Überlappungsbereichen zwischen »transkulturellem Translations-
raum« und »polykulturellem Translationsraum« liegen und jene Institutionen
betreffen, die sowohl mit Transferarbeiten innerhalb der Monarchie als auch
mit solchen über die Monarchiegrenzen hinaus befasst waren. Durch die Über-
setzung kommt es so zu ständigen Uminterpretationen und Transformationen,
die die »aufnehmende Kultur« entscheidend dynamisieren und die gleichzeitig
zu Brüchen führen können.296 Je nach »Kontaminierungsgrad« der involvierten
Kulturen ergeben sich dynamische Prozesse, die für den Gesamtraum der Habs-
burgermonarchie ausschlaggebend sind und asymmetrische Machtverhältnisse
verstärken oder abschwächen können : Nicht zuletzt liegt der Unterschied, ob
ein französischer Text ins Deutsche oder ins Ruthenische übersetzt wird, darin,
wie weit zwischen den Kulturen bereits diskursive Austauschprozesse stattge-
funden haben, die wiederum Veränderungen von Bedeutungszuschreibungen
bewirken ; auch die hierarchischen Beziehungen zwischen den involvierten Ak-
teurInnen wirken in diese Verhältnisse ein.
Machtbeziehungen bedingen die kommunikativen Prozesse auf allen Ebe-
nen ; sie gehen sowohl von sozialen Spannungen zwischen den einzelnen ge-
296 Hugo Schuchardt hat diese Prozesse mit dem Motto umrissen : »Tko želi dobro govoriti mora
natucati« (»Wer danach strebt gut zu reden, muss radebrechen«), denn »wer aus irgend einem
Grunde sich scheut eine fremde Sprache zu misshandeln, der wird sie nie beherrschen« (Schuchardt
1884 : 128, Hervorh.v.mir), womit er gleichsam eine erste Stufe kultureller Hybridisierung iden-
tifiziert hat.
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437