Seite - 375 - in Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
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Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 375
sellschaftlichen Gruppierungen aus und greifen dadurch in das Kommunika-
tionsgeschehen ein, als auch – in der Habsburgermonarchie in zunehmendem
Maße gegen Ende des 19. Jahrhunderts – von Nationalitätenkonflikten, die die
Wirkungsmechanismen der Kommunikation entscheidend beeinflussen. Für
die Schaffung kultureller Produkte ist die Auswirkung von Machtverhältnissen
auf verschiedenen Ebenen verortbar, hier sei – auf den spezifischen Kontext
der Herstellung von Translaten im engeren Sinn bezogen – zum einen auf das
Phänomen verwiesen, dass Nationalitätenkonflikte durch das aus ihnen resul-
tierende (und sie wiederum bedingende) gesteigerte Nationalbewusstsein die
Schaffung »originaler« Kulturprodukte fördern, was zum anderen dazu beiträgt,
dass auch vermehrt Übersetzungen angefertigt werden, da ja aus einer größeren
und unter Umständen diversifizierteren Menge an »Originalen« Übersetzungen
ausgewählt werden können, an denen, wie etwa die massiv steigende Anzahl von
Übersetzungen aus dem Serbokroatischen ins Deutsche ab ca. 1888 zeigt (im
Jahrzehnt 1888–1897 stieg die Zahl der Übersetzungen beinahe um das Drei-
fache gegenüber dem vorangegangenen Jahrzehnt), offensichtlich von der Seite
der VermittlerInnen und vor allem des Publikums großes Interesse besteht.
Die bereits mehrmals angesprochene Dimension der Grenze spielt eine
bedeutende Rolle in diesen Umdeutungsprozessen. Mutatis mutandis gilt dies
auch für die Überlappungsbereiche zwischen den einzelnen Feldern bzw. Räu-
men. Der Ort der Überlappungen von Kulturen, das »Da-Zwischen«, in dem
das Aushandeln, das »Verhandeln« zwischen Kulturen zustande kommt und in
dem sich »asymmetrische Kräfte, Dissonanz und Ungesagtes in eine Begeg-
nung einschreiben« (Chambers 1997 : 198), ist somit ein Kontaktbereich, der
als verdichtete Form von Übersetzung ein enormes Potenzial für zahlreiche
weitere Kontextualisierungen birgt. Die KulturmittlerInnen arbeiten vor al-
lem an Übergängen und Bruchlinien, die als kreativer Ort zur Hervorbringung
von kultureller Differenz gelten, weshalb in dem hier skizzierten Modell die
Grenzen zwischen den einzelnen Feldern bzw. Räumen als ständig fließend und
transparent vorzustellen sind.297 Dazu tragen nicht zuletzt die Individuen und
sozialen Gruppen bei, die aufgrund ihrer Plurilingualität zuweilen gleichzeitig
in mehreren der hier skizzierten (Kommunikations-)Räume weilen.
Hervorzuheben ist die Kreativität dieser Grenzbereiche : Auch Anthony
Pym behauptet im Kontext der Rekonstruktion historischer Netzwerke von
Translationen, dass sich die Grenzen zwischen Kulturen oft durch den Akt des
Übersetzens manifestieren und diese Verbindung von Übersetzung und Grenze
297 Vgl. zu einer solchen Sicht von Grenze auch Hárs/Müller-Funk/Reber/Ruthner (2005).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437