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2.2 Teildisziplinen der Ethik
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schränkung auf deskriptiv-empirische Ethik ist eine mögliche Konsequenz solcher innerer
oder äußerer Ablehnung moralisch-normativer Stellungnahmen philosophischer Ethik.
Eine weitere Möglichkeit besteht daran , in den Untersuchungen auf die sogenannte Me-
taethik auszuweichen.
Der Metaethik werden üblicherweise jene philosophischen Beiträge zugeordnet , die
( 1 ) moralische Sprachen oder Argumente unabhängig von spezifischen Inhalten analy-
sieren ( einschlieĂźlich ihrer Kritik aus logischer Perspektive ) oder solche konstruieren , ( 2 )
die Möglichkeit moralischer Erkenntnis behandeln , ( 3 ) den ontologischen Status von
moralischen Werten oder Tatsachen unabhängig von ihren spezifischen Inhalten unter-
suchen oder ( 4 ) Fragen aus dem Gebiet der Philosophie des Geistes in Bezug auf mora-
lische Einstellungen oder Gefühle wiederum unabhängig von ihren spezifischen Inhalten
stellen. Folgende Fragen gelten als metaethische : Was bedeutet der Ausdruck „moralisch
gut“ unabhängig von bestimmten inhaltlichen Bestimmungen ? Was ist überhaupt ein mo-
ralisches Urteil ? Wie lassen sich Moralen unabhängig von ihren spezifischen Inhalten be-
gründen oder rechtfertigen ? Kann es für moralische Urteile eine Logik geben ? Wie könn-
te diese aussehen ? Kann moralischen Sätzen ein Wahrheitswert zukommen ? Können wir
bei moralischen Sätzen von Wissen sprechen ? Welche psychischen Zustände werden mit
moralischen Sätzen ausgedrückt ? Gemeinhin wird angenommen , dass hierbei keine mo-
ralischen Sätze gebraucht werden und es sich wie bei der deskriptiv-empirischen Ethik
um eine nicht moralisch Stellung nehmende Tätigkeit handelt. Untersuchungsgegenstand
ist die Moral schlechthin , d. h. das Konzept „Moral“ unabhängig von spezifischen inhalt-
lichen Konzeptionen desselben. Wobei nicht ĂĽbersehen werden darf , dass mit der Ver-
wendung des Konzeptes „Moral“ eine Vorentscheidung gefallen ist , die ihre Kriterien aus-
zuweisen hat und den Umfang möglicher Moralkonzeptionen , die die normative Ethik
formuliert , begrĂĽndet oder reflektiert entsprechend abgrenzt :
Wenn wir moralische Urteile nur als Ausdruck von subjektiven GefĂĽhlen und Empfindungen
interpretieren , dann können wir schwerlich eine normativ-ethische Konzeption vertreten , die
klare Kriterien des objektiv Richtigen und Falschen zu vermitteln beansprucht.
( Pauer-Studer 2010 , 193 )
Diese Terminologie kann selbstverständlich so festgelegt werden und in diesem Sin-
ne Verwendung finden , solange auf bestimmte Ergänzungen nicht vergessen wird , wie
ich sie vorschlagen werde. Die der deskriptiv-empirischen Ethik zugeordneten Wissen-
schaftsdisziplinen arbeiten mit deskriptiven Methoden , da sie empirische Wissenschaf-
ten sind. Was sie von den philosophischen Disziplinen der Moraltheorie unterscheidet ,
ist jedoch ihre empirische Methode , nicht ihr deskriptives Vorgehen , das in der Dicho-
tomie von deskriptiv-normativ als synonym mit „nicht normativ“, „neutral“ zu verstehen
ist. Auch in der ( philosophischen ) Ethik kann nicht-normativ gearbeitet werden , wie es
u. a. in der Metaethik geschieht. Insbesondere geht es um moralisch-normativ bzw. mo-
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale MoralbegrĂĽndung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 MoralbegrĂĽndung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 MoralbegrĂĽndung auf Grundlage natĂĽrlicher Ziele : Rationale MoralbegrĂĽndung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische MoralbegrĂĽndung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und BĂĽrgerinnen oder BĂĽrger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukĂĽnftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- AbkĂĽrzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441