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5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode
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onalen Extremisten. Doch auch diese inneren Zwiste hatten damals für uns etwas Faszinie-
rendes. ( Flitner 1986 , 289 )
Was Carnap mit dem Bauhaus damals verband , könnte sowohl die Aufhebung herkömm-
licher Trennungen , die rationalistischen Tendenzen als auch die Spannung zwischen bei-
den gewesen sein. Das Bauhaus-Manifest , das Gropius sofort nach seinem Amtsantritt
als Bauhaus-Direktor veröffentlichte , hatte noch „romantische“ Züge , wenn es beispiels-
weise darin heißt :
Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers. Gnade des Himmels läßt in seltenen Licht-
momenten , die jenseits seines Wollens stehen , unbewußt Kunst aus dem Werk seiner Hand
erblühen , die Grundlage des Werkmäßigen aber ist unerläßlich für jeden Künstler. Dort ist der
Urquell des schöpferischen Gestaltens.
Bilden wir also eine neue Zunft der Handwerker ohne die klassentrennende Anmaßung , die
eine hochmütige Mauer zwischen Handwerkern und Künstlern errichten wollte ! Wollen ,
erdenken , erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft , der alles in einer Gestalt
sein wird : Architektur und Plastik und Malerei , der aus Millionen Händen der Handwer-
ker einst gen Himmel steigen wird als kristallenes Sinnbild eines neuen kommenden Glau-
bens. ( Zit. n. Hepp 1987 , 219 f. )
Unter den Grundsätzen finden sich :
Vermeidung alles Starren ; Bevorzugung des Schöpferischen ; Freiheit der Individualität , aber
strenges Studium.
[ … ]
Pflege freundschaftlichen Verkehrs zwischen Meistern und Studierenden außerhalb der Ar-
beit ; dabei Theater , Vorträge , Dichtkunst , Musik , Kostümfeste. Aufbau eines heiteren Zere-
moniells bei diesen Zusammenkünften. ( Zit. n. Hepp 1987 , 221 )174
174 Das Verhältnis des Bauhauses zur Gleichberechtigung von Frauen ist im Übrigen ambivalent. Im ersten
Semester schrieben sich 84 Frauen und 79 Männer zum Studium ein. Gropius fürchtete jedoch schon
bald , die große Anzahl von Frauen schade dem Ansehen der Schule. Er forderte , vor allem bei den in
seinen Augen zu zahlreich vertretenen Frauen gleich bei der Aufnahme stark auszusondern. Von Töp-
ferei und Druckerei sollten sie auf Urgenzen der Meister gänzlich ferngehalten werden. Die Webe-
rei , die in der Hierarchie an letzter Stelle stand , wurde zur „Frauenklasse“ erklärt und durfte als einzi-
ge Werkstatt von einer Frau geleitet werden. Im Wintersemester 1932 /33 gab es am Bauhaus in Berlin
noch 25 Frauen und 90 Männer. ( Müller U. 2009 , 9 f. ) Eine strikte Geschlechtertrennung wirkte auch
in der Kunst der Bauhaus-Männer , die sich nicht nur als künstlerische Avantgarde verstanden. So ord-
nete Gropius Dreieck , Rot und Geist der Männlichkeit zu , Quadrat , Blau und Materie der Weiblich-
keit. Itten seinerseits war der Meinung , Frauen sei eindimensionales Sehen angeboren , weshalb sie lie-
ber in der Fläche arbeiten sollten. Klee wiederum war überzeugt , Genie sei männlich , und Schlemmer
und Kandinsky , Schöpfertum sei mit Männlichkeit zu identifizieren. ( Baumhoff 2000 , 96–107 )
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441