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5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus
156 A philosophical thesis on logic or language , in contrast to a psychological or linguistic the-
sis , is not intended to assert anything about the speaking or thinking habits of the majority
of people , but rather something about possible kinds of meanings and the relations between
these meanings. In other words , a philosophical thesis does not talk about the haphazard fea-
tures of natural languages , but about meaning relations , which can best be represented with
the help of a constructed language. [ … ] [ … ], the thesis of pure optatives is meant as say-
ing that it is possible to construct a language in such a way that it contains pure opta tives.
( Carnap 1963c , 1003 )
Das als Aufgabe der Philosophie zu sehen , sei Carnap unbenommen , doch beschäftigt er
sich damit nicht mit Fragen , wie sie Menschen ( inklusive vieler Philosophinnen und Phi-
losophen ) hinsichtlich ihrer eigenen Moral stellen. Seine philosophische Tätigkeit hat sich
damit weit vom lebensweltlichen Phänomen „Moral“ entfernt , so sich Moral nicht nur auf
„Carnaps Moral“ beschränken soll.
Relevant wird T4 jedoch durch den weiteren Vorschlag , eine Sprache mit reinen Opta-
tiven zu formulieren und diese als Basis für die philosophische Diskussion von Wertpro-
blemen zu verwenden. ( Carnap 1963c , 1003 ) Carnap führt einige Gründe an , reine Opta-
tive in einer umfassenden Wertsprache zuzulassen. Für welche Problemstellungen und ob
für die sprachliche Fassung von moralischen Werturteilen dies nützlich ist , ist eine ande-
re Frage. Auf diese geht Carnap nicht ein. ( Er führt den Optativ-Operator „utinam“ ein ,
mit dem wie bei allen Formulierungen mit Operatoren das Subjekt des Wunsches , Befehls
etc. aus dem Blickfeld verschwindet. Als Motivation , mit den Beispielen ansonsten eng-
lische Wörter und Sätze zu verwenden , führt Carnap Einfachheit an. Es ist jedoch mehr
eine Frage der Verständigungsmöglichkeit. )
Carnap hält die Unterscheidung zwischen Überzeugung ( belief ) und Haltung ( atti-
tude ) und die damit verbundene Unterscheidung zwischen Uneinigkeit in der Überzeu-
gung und Uneinigkeit in der Haltung , wie sie Stevenson trifft , für sehr wichtig , um bei-
spielsweise in moralischen Fragen mehr Klarheit zu erreichen. ( Carnap 1963c , 1005 ) Die
Unterscheidung zwischen Überzeugung und Haltung dürfe jedoch nicht mit der Unter-
scheidung zwischen Denken ( reason ) und Emotion verwechselt werden. Eine Überzeu-
gung könne sich wie eine Haltung auf Emotionen oder Denken stützen. Eine Haltung
sei eine Präferenz. Eine Überzeugung könne ein Rechtfertigungsgrund für eine Präferenz
sein. Carnap sieht hierin keine Uneinigkeit zwischen Kaplan , Stevenson und Reichen-
bach. ( Carnap 1963c , 1006 f. )
Carnap will nur behaupten , es gebe Optative , aus denen keine faktischen Behauptun-
gen folgten. Er gehe nur nicht wie Kaplan davon aus , dass ein Optativ , der eine Haltung
ausdrückt , immer den Grund für diese Haltung mit ausdrücken würde. ( Carnap 1963c ,
1007 ) Wiederum bleibt damit jedoch offen , ob es sich im speziellen Fall von moralischen
Optativen um reine Optative handle oder
– wie Kaplan und Kraft ( siehe unten im Kraft-
Kapitel ) behaupten
– eben nicht. Jedenfalls sieht es Carnap für eine adäquate
– woran im-
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441