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6.3 Mengers Moralauffassung
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also als bedeutungsgleich mit Imperativen , auch wenn diese grammatikalisch nicht in
Imperativform auftreten.
Als Imperative seien Normen nach Menger weder wahr noch falsch. Menger geht also
von einem engen semantischen Nonkognitivismus in Bezug auf moralische Normen aus.
Im Speziellen vertritt er eine Kombination von Expressivismus und Präskriptivismus , und
es sind auch in sich differenzierte Systeme zugelassen. Es kann auch ein System akzep-
tiert werden , das fĂĽr den einen das Verhalten x vorsieht , fĂĽr einen anderen y. Das System
muss nicht für alle Anhängerinnen und Anhänger dasselbe vorsehen. Menger ist sich mit
Carnap in der Ablehnung des Deskriptivismus einig :
I had already been convinced by Hume and Poincaré that propositions about what ought to be
could not be inferred from propositions about what is ; and from this conviction , combined
with an empiricist attitude , there is only a small step to Carnap’s epistemological view of
ethics. But what troubled me was the negativity of this view. ( Menger 1994 , 181 )
Dass Normen weder wahr noch falsch sein können , würde ihrer theoretischen Behand-
lung nach Menger dennoch keinen Abbruch tun :
Even after all systems of morality , codes of norms and value judgments have been expelled
from the cognitive domain and relegated to the realms of feelings or wishes , does there not
remain , I asked myself , a residue that lends itself to observation as well as to theoretical treat-
ment – perhaps from an extensional point of view ? ( Menger 1994 , 183 )
Imperative können , so war Menger überzeugt , logische Beziehungen zueinander einge-
hen – sie sind also logikfähig – und seien der Behandlung durch logisch-mathematische
Verfahren – zumindest mittelbar – durch die Stellungnahme ihnen gegenüber zugäng-
lich. Welche Möglichkeiten Menger hier sah , wurde in seiner Logik der Sitten dargestellt.
Diese sprachphilosophische Position könne nach Menger durchaus praktische Rele-
vanz erhalten , wenn diese ernst genommen wĂĽrde und dadurch im Privaten und in der
Politik nicht mehr so viel leeres Gerede und Heuchelei wie in der Vergangenheit herr-
schen wĂĽrden. ( Menger 1974 , 96 f. )
Deutlich spricht sich Menger dennoch dagegen aus , moralische Normen als sinnlos
zu betrachten :
Denn wehe dem , der Aussagen als sinnlos erklärt ! Er gleicht einem Mann , der , um seinen
Feind zu vernichten , den er in einem unentrinnbaren Sumpf erblickt , statt seines Weges zu
gehen , sich mit gezĂĽcktem Dolch in den Sumpf stĂĽrzt. ( Menger 1934a [ 1997 , 93 ])
Allgemein lehnt Menger Behauptungen ĂĽber die Sinnhaftig- und Sinnlosigkeit von Nor-
men , Werturteilen oder auch von Methoden , Verfahren , Schlussweisen , Axiomen und Be-
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale MoralbegrĂĽndung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 MoralbegrĂĽndung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 MoralbegrĂĽndung auf Grundlage natĂĽrlicher Ziele : Rationale MoralbegrĂĽndung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische MoralbegrĂĽndung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und BĂĽrgerinnen oder BĂĽrger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukĂĽnftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- AbkĂĽrzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441