Page - 199 - in Ethik und Moral im Wiener Kreis - Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
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7.1 Einleitung
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ges wurde er Direktor des Deutschen Kriegswirtschaftsmuseums in Leipzig , weshalb er je-
weils zwei Wochen in Wien und zwei in Leipzig verbrachte. ( Neurath P. 1994 , 34 ff. )262
Im Jahre 1917 habilitierte sich Neurath in Heidelberg auf dem Gebiet der politischen
Ă–konomie ĂĽber Kriegswirtschaftslehre , mit der er sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg
( z. B. Neurath 1913c ) beschäftigt hatte. An Webers Institut für Soziologie erhielt er eine
Privatdozentur , ohne jedoch dort jemals zu lehren.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Neurath , seit 1918 Mitglied der Sozialdemokrati-
schen Arbeiterpartei ,263 Leiter des Zentralwirtschaftsamtes der Münchner Räterepublik.
Aufgrund dieser Tätigkeit
– wenngleich „nominell wegen Nichtausübung bzw. wegen un-
entschuldigten Fernbleibens vom Universitätsbetrieb“ – wurde ihm schließlich seine ve-
nia legendi aberkannt ( Neurath P. 1994 , 36 f. ), und er wurde wegen Beihilfe zum Hoch-
verrat vierzig Tage lang inhaftiert. Nach Intervention Otto Bauers in seiner Funktion als
Österreichischer Staatssekretär für Äußeres wurde Neurath nach Österreich abgeschoben.
Da eine akademische Karriere nun nicht mehr möglich war , konzentrierte sich Neu-
rath auf außeruniversitäre Projekte : Er engagierte sich im Siedlungs- und Kleingartenwe-
sen ( 1920–1925 ) und gründete das Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum , das für sozia-
le Aufklärung sorgen sollte.264 In diesem Zusammenhang entwickelte er mit anderen die
Wiener Methode der Bildstatistik , die er später als ISOTYPE ( International System of
Typographic Picture Education )265 in den Niederlanden und schlieĂźlich in GroĂźbritanni-
en fortführen wird.266 Die „Reihen von kleinen Manderln“ und weitere Grafiken sind heu-
te für die Darstellung von Zusammenhängen gemeinhin bekannt.
Damit ging jedoch kein RĂĽckzug Neuraths aus wissenschaftlichen , politischen und kul-
turellen Debatten einher. So sprach sich Neurath 1921 im Anti-Spengler ( Neurath 1921c )
262 In dieselbe Zeit fallen seine Erfindungen einer Drahtseilbahn und einer Zieleinrichtung fĂĽr Flug-
zeuge. ( Neurath P. 1994 , 37 )
263 Nach Angaben seines Freundes Lackenbacher hätten Neurath die Erfahrungen des Krieges zum So-
zialisten gemacht. ( Neurath P. 1994 , 41 )
264 Hier stand er in enger Verbindung mit der Architektin Margarete SchĂĽtte-Lihotzky. Heute ist das
Museum in Wien , Vogelsanggasse 36 , untergebracht.
265 Diese Methode der Visualisierung stellt verschiedene Qualitäten durch verschiedene Symbole dar
und verschiedene Quantitäten durch die Anzahl dieser Symbole ( ausführlich dazu Stadler 1982b ).
In diesem Zusammenhang kam es auch zu einer Zusammenarbeit mit Otto Glöckel. ( Stadler 1991 ,
259 u. 262 ) Beispiele finden sich in Neurath 1939. Informationen zu dieser Darstellungsmethode sie-
he auch unter : http://www.isotyperevisited.org
266 Stebbing , die nach Neuraths Flucht nach England alle Hebel in Bewegung setzen wird , um ihn aus
der Internierung als „feindlicher Ausländer“ auf der Isle of Man frei zu bekommen , wird auch als
Präsidentin des Instituts in England fungieren und im Organisationskomitee der Kongresse für Ein-
heit der Wissenschaft vertreten sein. Zu ihren Arbeiten bemerkt Neurath : „Es ist kein Zufall , daß
L. Susan Stebbing einerseits ein Buch geschrieben hat , das die äußerst metaphysischen Spekulatio-
nen moderner Physiker kritisiert , andererseits ihr Thinking to some Purpose und ihr Ideals and Illusi-
ons.“ ( Neurath 1941a [ 1981b , 906 ])
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale MoralbegrĂĽndung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 MoralbegrĂĽndung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 MoralbegrĂĽndung auf Grundlage natĂĽrlicher Ziele : Rationale MoralbegrĂĽndung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische MoralbegrĂĽndung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und BĂĽrgerinnen oder BĂĽrger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukĂĽnftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- AbkĂĽrzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441