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7.1 Einleitung
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Neurath gab fĂŒr die AuĂenwahrnehmung des Wiener Kreises â sowohl in Wien als
auch in der internationalen philosophischen Gemeinschaft â lange Zeit den Ton an und
stellte den Kreis in den Kontext spÀtaufklÀrerischer Kultur und Politik im Wien der
1920er- und frĂŒhen 1930er-Jahre. Eine besondere Rolle spielte in dieser Einbettung der
Verein Ernst Mach.271 Das politische Engagement , das sich keineswegs auf Neurath be-
schrÀnkte , wurde seit den spÀten 1970er-Jahren vor allem durch eine Neurath-Renaissance
wieder entdeckt , nachdem 30 Jahre zuvor bei den ehemaligen Mitgliedern entweder ein
RĂŒckzug in logische und wissenschaftstheoretische Fragen stattgefunden hatte oder die
Charakterisierung des Kreises auf diesen Bereich eingeschrÀnkt worden war.
Neurath gab dem Wiener Kreis nicht nur organisatorische , sondern auch inhaltliche
Impulse. Deshalb gilt er auch fĂŒr eine philosophische Untersuchung zu Recht als einer
der Brennpunkte des Wiener Kreises , der , so Franz Kreuzer , mehr als Ellipsoid mit vie-
len Brennpunkten denn als Kreis zu sehen sei. ( Kreuzer 1982 , 2 )
Massiv trat Neurath im Kreis als Anti-Metaphysiker auf. In den frĂŒhen Diskussionen
des Tractatus wandte Neurath stÀndig ein , hier werde reine Metaphysik erörtert. Schlick ,
den dies störte , schlug vor , er solle einfach nur mehr âM !â rufen. Neurath machte ( nach
Hempels Erinnerung ) daraufhin zur weiteren Verbesserung folgenden Vorschlag :
Ich glaube , es wĂŒrde uns allen Zeit sparen , wenn ich jedesmal âNon-M !â sagte , wenn hier
einmal keine Metaphysik getrieben wird. ( Neurath laut Hempel 1981 , 207 )
Neurath hielt Schlick schlicht in vielen FĂ€llen fĂŒr nicht aufgeklĂ€rt genug.272 Mit dieser
âaufklĂ€rerischen Militanzâ machte Neurath auch vor sich selbst nicht halt. ( Uebel 2000 ,
xiii )
BedĂŒrfnisse als Erdgeschosswohnungen ĂŒber die ganze Stadt verteilt. Neurath trug hierbei den in-
offiziellen Titel âConsulting Sociologist of Human Happinessâ. ( Neurath P. 1994 , 93 ) In GroĂbri-
tannien beschÀftigte sich Neurath zudem eingehend mit den Ursachen des Nationalsozialismus und
der Frage , wie eine Erziehung nach dem Fall des Nationalsozialismus in Deutschland ( einschlieĂ-
lich Ăsterreichs ) aussehen sollte. Neurath erklĂ€rte in seinen Ăberlegungen den Nationalsozialismus
durch eine spezielle deutsche Geistestradition , die er âdas deutsche Klimaâ nannte. Auf dieser hĂ€t-
ten die Nationalsozialistinnen und -sozialisten aufbauen können. Diese spÀten politischen und pÀd-
agogischen BeitrĂ€ge Neuraths wurden jĂŒngst in Sandner 2011 untersucht.
271 Vgl. dazu die Einleitung der vorliegenden Untersuchung.
272 In âRadikaler Physikalismus und âwirkliche Weltâ â ( 1934/35 ) Ă€uĂert sich Neurath despektierlich :
âWenn Schlick fast im Sinne des west-östlichen Diwans das âVerbrennenâ und âErkennenâ wie ein
âStirb und werdeâ mit den Worten preist : âDiese Augenblicke der ErfĂŒllung und des Verbrennens
sind das Wesentliche. Von ihnen geht alles Licht der Erkenntnis aus. Und dies Licht ist es eigentlich ,
nach dessen Ursprung der Philosoph fragt , wenn er das Fundament allen Wissens suchtâ , so möch-
te ich ganz schlicht erklĂ€ren : Man mag solche Lyrik schĂ€tzen , aber wer â ĂŒbrigens in Ăbereinstim-
mung mit vielen anderen AusfĂŒhrungen SchlicksÂ
â im Dienste der Wissenschaft radikalen Physika-
lismus vertritt , wird keinen Anspruch darauf erheben , in diesem Sinne ein Philosoph zu sein.â ( Neurath
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische KlÀrungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 âWissenschaft und Lebenâ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 âĂberwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Spracheâ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 âTheoretische Fragen und praktische Entscheidungenâ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 SpÀtphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle fĂŒr ein vertrĂ€gliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers EthikverstÀndnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer LebensgrundsÀtze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : EudÀmonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale MoralbegrĂŒndung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 MoralbegrĂŒndung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 MoralbegrĂŒndung auf Grundlage natĂŒrlicher Ziele : Rationale MoralbegrĂŒndung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 MoralbegrĂŒndung auf der Grundlage primĂ€rer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische MoralbegrĂŒndung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und BĂŒrgerinnen oder BĂŒrger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukĂŒnftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- AbkĂŒrzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441