Page - 238 - in Ethik und Moral im Wiener Kreis - Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Image of the Page - 238 -
Text of the Page - 238 -
7. Otto Neurath : Moral
238 generellen , sondern viele spezifische Einheiten gebe. ( Neurath 1935 , 42 ) Lediglich das Idol
der Geldrechnung führe zur Annahme , es ließe sich nur mit einer generellen Einheit rech-
nen. ( Neurath 1935 , 45 ) Die Naturalrechnung sei hier hilfreicher :
Was wir mit der Naturalrechnung leisten können : möglichst größenmäßig beschriebene Kor-
relationen zwischen Wirtschaft und Lebenslagen anzugeben. ( Neurath 1935 , 45 )321
Der Lebenslageansatz ist auch Thema in „The Inventory of the Standard of Living“
( 1937b ). Dort zeigt sich jedoch wiederum ein Problem von Neuraths Ansatz : Letzt-
lich zielt die Erfassung der Lebenslage ja auf die Erfassung der Lebensstimmung ( von
Lust / Unlust , Glück / Unglück ). Sie ist auch das Kriterium , anhand dessen Lebenslagen
zu ordnen sind :
Whereas this atomistic approach coordinates positive and negative “feeling” , quantities with
positive and negative conditions , we shall coordinate the totality of a person’s feeling , or that
of a group , with his or its entire living condition and investigate the extent to which chang es
in the “state of felicity” [ Lebensstimmung ; A. S. ] positive or negative directions depend upon
changes in these conditions. [ … ] we investigate [ … ] the conditions under which the total-
ity of feeling becomes more or less pleasurable. Only these elements are significant for our
approach to standards of living [ Lebenslagen ; A. S. ]. We call that standard of living high er
which produces a more pleasurable state of felicity characterized by a certain attitude or be-
havior. ( Neurath 1937b [ 2005 , 515 ])
Damit muss jedoch auch die Lebensstimmung irgendwie erfassbar sein. Zwar deutet Neu-
rath an , die Lebensstimmung könne am Verhalten der Individuen abgelesen werden , doch
bezweifelt er andererseits die interpersonelle Vergleichbarkeit von Lebensstimmungen
und die Gleichförmigkeit des Zusammenhangs zwischen Lebenslagen und Lebensstim-
mung über Individuen hinweg. ( Leßmann 2007a , 71 ) Neurath weicht wiederum auf den
Vergleich der Lebenslagen aus :
In jenen Fällen , in welchen wir die Durchschnittsstimmungen nicht miteinander vergleichen
können , liegt es nahe , die Durchschnittslebenslagen miteinander zu vergleichen , was beson-
ders in der Verbrauchsstatistik geschieht. Es muß aber nachdrücklich darauf hingewiesen
werden , daß den Durchschnittslebenslagen keineswegs immer die Durchschnittslebensstim-
mungen entsprechen. Vielmehr sind es oft rein rechnerische Größen. Freilich , wenn keine
anderen Mittel zur Verfügung stehen , hält man sich zur Not gerne an solch einen Ausweg.
( Neurath 1917b [ 1981a , 120 ])
321 Die Naturalrechnung geht auf Popper-Lynkeus zurück.
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441