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9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre
326 Schlick noch immer von seiner harmonischen Utopie , die Interessen von Individuen , Na-
tionen und der ganzen Menschheit mögen letztlich zusammenfallen.
Wirtschaft : Hier ist nach Schlick zu fragen , was geändert werden müsse , damit kein
Mangel an Mitteln zur Existenz und zur Freude mehr herrsche. In großen Zügen liege
diese Antwort auf der Hand : Es sei der Wille zu gerechter Verteilung der Güter nötig ,
denn Gütermangel selbst sei nicht das Problem. Konkret schlägt Schlick eine Verkürzung
der Arbeitszeit und die Erhöhung der Reallöhne vor. ( Schlick 1952 , 118–120 )
Technik : Im Unterschied zu Jaspers oder Coudenhove-Kalergi , die Schlick hier er-
wähnt , hält Schlick die Technik nicht inhärent für problematisch , denn zum Problem wer-
de Technik erst durch Missbrauch. Wo sie hingegen dazu diene , die tägliche Last ums Da-
sein abzunehmen und damit für höhere Freuden Zeit zu gewinnen , werde sie „natürlich“,
wiederum ganz im Sinne Schlick’scher paradiesischer Zustände :
Die Technik ist natürlich geworden und hat ihren Zweck erfüllt , wenn sie die Umgebung des
Menschen , die ihm in unserem Klima zunächst feindlich war , so umgeschaffen hat , daß er
mit der neuen Ausrüstung in ihr lebt wie in seinem natürlichen Element , also wie die Vögel
im Himmel , wie die Lilien auf dem Feld. Die Daseinsnot soll gänzlich von ihm genommen
sein – erst dann ist er frei. ( Schlick 1952 , 123 )
Kunst : Schlick rückt die Kunst in die Nähe der Religion. Beide seien aus dem Bedürfnis
nach Erlösung entstanden. Mit Schopenhauer betrachtet er das Großartige an Kunst , von
allen Unvollkommenheiten zu abstrahieren. Am besten gelinge das in der Musik :
Durch die Musik wird nichts Unvollkommenes geläutert , sondern ein ganz neues Reich ge-
schaffen , also wirklich die Flucht in eine bessere Welt vollzogen , mehr als bei allen andren
Künsten. ( Schlick 1952 , 124 )
Wie schon in der Lebensweisheit bleibt nach Schlick hier das letzte Ziel , Kunst überflüs-
sig zu machen. Geht es ihm doch darum , auf einen Zustand hinzuarbeiten , in dem das
Ergötzliche und Tröstliche der Kunst nicht mehr von Bedarf sei. Er meint , sich hier po-
sitiv an Kant orientieren zu können :
[ … ] bis vollkommene Kunst wieder Natur wird , welches das letzte Ziel der sittlichen Men-
schengattung ist. ( Schlick 1952 , 125 )
Mit Natur und Kultur bzw. seinem geplanten Werk Natur , Kultur , Kunst rückt Schlick wie-
der näher an die Lebensweisheit heran. Die Zurückhaltung , die in Fragen im Großen und
Ganzen doch zu konstatieren ist , wird nun wieder abgelegt. Inwiefern eine neuerliche Be-
schäftigung mit diesen konkreten Fragen und die Art ihrer Behandlung den Zeitumstän-
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441