Page - 342 - in Ethik und Moral im Wiener Kreis - Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Image of the Page - 342 -
Text of the Page - 342 -
10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung
342 weiteren Bestimmungen wären die verschiedenen Bestimmungen uneins.472 Kraft geht
es 1937 noch nicht so sehr um konkrete Inhalte der Moral.
Bevor ich zu einem formalen Charakteristikum ( auch ) moralischer Wertbegriffe über-
gehe , sei hier kurz noch auf die Frage einer inneren Rangordnung der Werte bzw. Wert-
begriffe in Krafts Analyse geantwortet. In der zweiten Auflage der Wertlehre von 1951
bringt Kraft die spezialisierten Wertbegriffe in ein System. Er gliedert sie in : emotionale
Wertbegriffe473 ( „entzückend“, „langweilig“ etc. ), Maß-Wertbegriffe ( „vollkommen“ etc. )
und Eigenschafts-Wertbegriffe. Letztere fallen in verschiedene Wertsphären , wie z. B. des
Rechtlichen , Vitalen , Ästhetischen , Religiösen oder für diese Untersuchung von vorran-
giger Bedeutung : des Sittlichen. Als Eigenschafts-Wertbegriffe beziehen sie sich auf Ei-
genschaften des bewerteten Objektes. Eine Rangordnung könne aber nur aufgestellt wer-
den , indem eine weitere Bewertung vorgenommen werde.474 Eine innere Rangordnung der
Werte lehnt Kraft ab. Da die Auszeichnungskomponente allen Werten gemeinsam sei ,
tauge diese nicht zur Hierarchisierung , ebenso wenig könne dies durch die neutrale Sach-
gehaltskomponente geleistet werden.475
10.2.1.2 Moralische Werturteile , Werthaltungen und Stellungnahmen
Man könnte nun meinen , moralische Urteile , in denen ein Objekt durch einen morali-
schen Wertbegriff ausgezeichnet wird , drückten eine individuelle Stellungnahme aus. Mit
„Stellungnahme“ meint Kraft ein empirisches , psychisches Geschehen , nämlich die Be-
reitschaft eines Individuums , sich im Gefühls- und Strebensbereich einem bewerteten
Gegenstand gegenüber entsprechend zu verhalten. Es kann eine freundliche oder feindli-
che , eine anstrebende oder ablehnende , eine billigende oder missbilligende Stellungnah-
me sein. ( Kraft 1950b [ 1968 , 170 ])
Die Auszeichnung durch einen moralischen Wertbegriff ist für Kraft jedoch keine indi-
viduelle Stellungnahme. Ein Werturteil schließt nicht ein , dass die / der Urteilende bereit
ist , sich dem Urteilsobjekt gegenüber entsprechend zu verhalten. Durch Wertbegriffe –
und dies trifft nicht nur auf moralische , sondern alle zu – würden nicht Stellungnahmen
ausgedrückt , sondern es würden bestimmte Stellungnahmen gefordert :
472 In Der Wiener Kreis führt Kraft hierzu an : Übereinstimmung des Willens mit einem Sittengesetz ,
ein auf das Glück aller gerichteter Wille , mitfühlende Gesinnung. ( Kraft 1950b [ 1968 , 170 ])
473 Sie geben die Art und Weise der gefühlsmäßigen Betroffenheit an und bezeichnen nur eine subjek-
tive Verfasstheit.
474 Mit der Frage einer Systematisierung und Rangordnung der Werte haben sich auch Rickert und
Scheler eingehend beschäftigt , mit denen sich Kraft auch in dieser Frage auseinandersetzt.
475 Allenfalls ließe sich eine Rangordnung zwischen gleichartigen Werten angeben , nämlich nach ei-
ner inneren Abstufung ihrer Intensität : „[ … ]: etwas kann schöner sein als etwas anderes oder nütz-
licher.“ ( Kraft 1951 , 22 )
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441