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10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung
348 sondern auch die überpersönlichen. Wäre das unmöglich , so müßte sich entweder eine neue
Art der Auszeichnung aufweisen lassen , oder es würde sich damit diese ganze Art der Wert-
konstituierung als unzulänglich oder verfehlt erweisen. ( Kraft 1937 , 142 )
Kraft glaubt und will zumindest für die überindividuellen Werte der Wahrheit und des
moralisch Guten zeigen , dass diese ausschließlich auf die angeführten Quellen zurückzu-
führen sind , wobei hierbei nicht ausschließlich mit den Gefühlen Lust-Unlust das Aus-
langen zu finden sei.482
10.2.1.4 Ablehnung des psychologischen Hedonismus
Eine individuell-subjektive Auszeichnung bzw. eine Stel-
lungnahme ( die Bereitschaft , sich im Gefühls- und Stre-
bensbereich einem Gegenstand gegenüber in einem
be stimmten Sinne zu verhalten ) kann nach Kraft also
keines wegs nur auf Lust oder Unlust beruhen. Dies be-
deutet eine klare Absage an den psychologischen Hedonis-
mus.483 Nach Kraft können noch andere psychische Phäno-
mene eine Stellungnahme
– und somit , so vermeint Kraft ,
auch Auszeichnungen – bestimmen :
Die anderen Quellen der Auszeichnung kommen vor allem
dort zur Geltung , wo die Lust-Unlust-Betonung zu schwach ist
und zu nebensächlich , als daß sich um ihretwillen die Stellung-
nahme zu dem Gegenstand ergeben könnte. ( Kraft 1937 , 110 )
Für den Hedonismus sei Lust-Unlust als einzige Quelle auch kein empirisches Ergebnis ,
sondern ein apriorischer Grundsatz ( Kraft 1937 , 65 ), der aufgegeben werden sollte :
Man muß sich von der Ausschließlichkeit der Lust-Unlust als Quelle des Wertcharakters
emanzipieren. ( Kraft 1937 , 110 )
Damit will Kraft Lust und Unlust als „Quelle“ des Wertcharakters nicht abwerten , doch
diese sind für ihn eben nicht die einzigen Quellen der Auszeichnung. ( Kraft 1937 , 60 )
Ob nicht dennoch im Bereich des Moralischen einzig Lust-Unlust die Wertbasis bilde ,
hänge von einem genaueren Verständnis des Moralischen ab. Da hierüber keine Einigkeit
482 Ross lobte in seiner Rezension Krafts Wertpsychologie , kritisierte jedoch dessen Wertlehre. ( Ross 1955 )
483 Kraft stützt sich in seiner Hedonismus-Kritik auch auf Gomperz’ Kritik des Hedonismus ( 1898 ), in
der ebenfalls mehrere Motivationsquellen anführt werden. Neben Reflexen , Instinkten , Nachahmung
und Gewohnheit nennt Gomperz Trieb und Suggestion.
Abb. 8 : Viktor Kraft 1936
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441