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10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode
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herrsche , müsse , um zu wissen , auf welche Quelle die Auszeichnung als moralisch gut zu-
rückgeführt werden kann , jede Definition gesondert untersucht werden. ( Kraft 1937 , 145 )
Kraft unternimmt dies für den Altruismus , den er als wesentliches Element der meisten
Moralauffassungen sieht und als deren aufklärungsbedürftigstes hält ,484 wenn es um die
Quellen einer Auszeichnung geht. Kraft meint zeigen zu können , bei einer Definition des
moralisch Guten , die den Altruismus mit umfasst , käme die Lust-Unlust-Betonung nicht
als einzige Basis der Auszeichnung infrage. Was Kraft hier behandelt , ist jedoch lediglich
die individuell-subjektive Basis für die Übernahme der überindividuell moralischen Pers-
pektive , nicht jedoch deren Gültigkeit , d. h. die Begründung des Anspruchs auf allgemei-
ne Übernahme. Sie sind nicht nur individuell „vom persönlichen Standpunkt eines ein-
zelnen aus ausgezeichnet“, sondern überpersönlich „von einem überindividuellen , einem
gemeinsamen Standpunkt aus“ ( Kraft 1937 , 152 f. ).
Die ( Bedeutungs- )Konstituierung überindividueller Werte mit ihrem normativen Ele-
ment in der Auszeichnungskomponente aus individuellen Werthaltungen heraus konn-
te Kraft letztlich nicht zeigen. Zwischen seinem Wertsubjektivismus und seiner Auffas-
sung überindividueller Werte wie den moralischen klafft eine Lücke. Eben diese wird ihn
auch in seinen Versuchen der Moralbegründung immer wieder einholen. Bevor ich mich
mit dieser auseinandersetze , sei noch einmal näher auf Krafts metaethische Positionen
eingegangen.
10.2.1.5 Krafts metaethische Positionen
Was den ontologischen Status von Werten betrifft , vertritt Kraft , wie schon weiter oben
kurz angeführt , einen Wertsubjektivismus , in dem einzelne Individuen ein Gemeinsa-
mes bilden :
Was wertvoll ist , ist es also in Bezug auf ein Subjekt. Wertvoll ohne jemanden , für den es wertvoll
ist , d. h. also für den es praktische Bedeutung hat , wertvoll „an sich“ hat keinen Sinn. Die Wer-
te selbst sind nur die Abstraktionen aus dem Gewerteten. ( Kraft 1950a , 95 )
Die Ansicht , Werte würden unabhängig von einem Bewusstsein bestehen , hält er für Me-
taphysik :
Daß die Werte aber überhaupt absolute Qualitäten sind , die unabhängig vom Bewußtsein
bestehen , ist reine Metaphysik und unverständlich noch dazu. ( Kraft 1950a , 93 )
Absolute Werte als selbstständige Wesenheiten seien nichts anderes als „unzulässige Ver-
selbständigungen von Begriffen“. ( Kraft 1950a , 95 )
Kraft erteilt zudem einem emotionalen Intuitionismus eine Absage :
484 In dieser Einschätzung muss man Kraft nicht folgen.
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441