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10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode
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Wobei „gemeinsam“ hier als „für jede( n )“ zu verstehen ist. Stützte sich Kraft 1950 und
1951 auf Kulturziele , sind es nun andere Ziele , für die die allgemeine Anerkennung mora-
lischer Normen ein ( notwendiges ) Mittel darstellen soll. Der Inhalt einer solchen Ord-
nung hänge sodann von den Zielen der miteinander lebenden Individuen ab. Von Natur
aus wären jedoch solche :
1. Selbstbestimmung
2. Sicherheit für Leben , Eigentum und die ganze Interessensphäre
3. Bedürfnis nach Hilfe anderer
( Kraft 1963 , 39 )
Als Zweck der Moral sieht Kraft deshalb die Erreichung der individuellen Ziele von
Selbstbestimmung , Sicherheit für Leben , Eigentum und die ganze Interessensphäre sowie
die Hilfe anderer. Mittel ( hier die Anerkennung mora lischer Normen ), die sich zur Errei-
chung dieser Ziele als notwendig erweisen , wären rational begründet.
Um Sicherheit gewährleisten zu können , sei es notwendig , jede absichtliche Schädi-
gung auszuschließen. Es dürfe keine Irreführung durch Täuschung , Lüge oder Betrug ge-
ben. ( Kraft 1963 , 39 ) Das Streben nach der Hilfe anderer erfordere zudem über das nega-
tive Gebot der Nicht-Schädigung hinaus das positive Gebot , anderen zu helfen. Und für
die Selbstbestimmung wäre die Norm erforderlich , dass die Freiheit , die jeder für sich ver-
langt , für alle gewährt werden soll. ( Kraft 1963 , 39 ff. ) Zusammenfassend :
Darin , daß ein individuelles Wollen mit den allgemeinen Zielen der Selbstbestimmung ,
der Sicherheit und der gegenseitigen Hilfe vereinbar ist oder zu ihnen in Widerspruch tritt ,
liegt das Kriterium der moralischen Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines Wollens. ( Kraft
1963 , 43 )
Kraft glaubt mit ( 1 ) der Erkenntnis von Tatsachen-Beziehungen ( Zweck-Mittel-Bezie-
hungen ) und ( 2 ) naturgegebenen Zielsetzungen ( anthropologischen Annahmen ) für eine
rationale Moralbegründung das Auslangen zu finden. Allein darauf würde sich die An-
erkennung einer gemeinsamen Perspektive , welche die Moral darstellt , gründen können.
Hier irrt Kraft. Der Umstand , dass alle ein Bedürfnis nach Selbstbestimmung , nach Si-
cherheit und nach Hilfe haben , bedeutet noch nicht , dass es sich um gemeinsame Ziele
handeln würde , was Kraft in einem anderen Zusammenhang durchaus klar gesehen hat.
Die Ziele sind die je eigene Selbstbestimmung , die je eigene Sicherheit und die Hilfe für
die Erreichung je eigener Ziele. Für manche Menschen ist es nicht notwendig , analoge
Bedürfnisse auch anderen zu gewähren oder zu ermöglichen. ( 1 ) Die Anerkennung der
genannten moralischen Normen mögen ( für manche ) ein ( notwendiges ) Mittel sein , aber
nicht für alle. ( 2 ) Für manche mögen sie nur ein wirksames Mittel sein , kein notwendi-
ges. Ihre Anerkennung ist ( für diese ) zulässig ( erlaubt ), aber nicht gefordert ( ein Nicht-
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441