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11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung
388 1924 bis 1930 als Student teil und wurde zudem bei den Treffen mit Wittgenstein gerne
gesehen.532 Neben Philosophie studierte Feigl Mathematik , Physik , Chemie und As-
tronomie. Insbesondere die Lektüre von Schlicks „Raum und Zeit in der gegenwärti-
gen Physik“ ( Schlick 1917 ) und dessen Allgemeine Erkenntnislehre ( Schlick 1918 ) brach-
te Feigl schließlich zum Studium nach Wien. Dort lehrte er nach seinem Doktorat 1927
auch an der Wiener Volkshochschule Astronomie und Philosophie. ( Feigl 1974 [ 1981 ,
2 f. ])533 Feigl gilt allgemein ( neben Waismann ) als Lieblingsschüler Schlicks. ( Feigl
1969b [ 1981 , 60 ])
Feigl emigrierte als Erster des Wiener Kreises in die USA , wohin er bereits 1930 im
Zuge eines International Rockefeller Research Fellowships aufbrach. Getrieben von der Vor-
stellung , mit seinem Freund Albert E. Blumberg in den USA eine Mission erfüllen zu
müssen , entstand der Artikel „Logical Positivism : A New Movement of European Philo-
sophy“ ( Blumberg / Feigl 1931 ), der entscheidend zum hohen Bekanntheitsgrad des Wie-
ner Kreises in den USA beitrug. Feigl beschreibt seine Rolle als aggressiver Antimetaphy-
siker ähnlich jener Ayers in England. ( Feigl 1974 [ 1981 , 10 ])534 Feigls Hauptinteresse lag in
der Folgezeit wie schon bisher auf den Gebieten der Wissenschaftstheorie und der Phi-
losophie des Geistes , insbesondere dem Leib-Seele-Problem.535
Fragen der Moral und Ethik wandte Feigl sich in seinen Publikationen erst nach dem
Zweiten Weltkrieg zu. In mehreren Artikeln legte er Ende der 1940er-Jahre beginnend
und verstärkt ab den 1960er-Jahren seine Position in moralischen und ethischen Fragen
dar.536 Insbesondere wandte er sich Fragen der Begründung bzw. der Rechtfertigung mo-
ralischer Normen und Werte zu. Aufgrund seiner erst späten öffentlichen Auseinander-
setzung mit Fragen der Moral und Ethik und seiner Nähe zu Krafts Moralbegründung
bildet Feigls Position den Schluss der vorliegenden Untersuchung.
532 Feigl beschwert sich jedoch darüber , dass Schlick Wittgenstein Ideen zuschrieb , die er , Schlick ,
schon selbst in seiner Allgemeinen Erkenntnislehre ( Schlick 1918 ) viel klarer vorgebracht hatte. ( Feigl
1974 [ 1981 , 8 ])
533 Als weitere Jugendidole nennt Feigl Mach , Ostwald und Einstein. Letzteren besuchte er als 20-Jäh-
riger in Berlin. Neben diesen wurde Feigl außerdem von Alois Riehls kritischem Realismus stark be-
einflusst. ( Feigl 1974 [ 1981 , 1 f. ])
534 Feigl traf Ayer und Russell , die einander ebenfalls noch nicht persönlich kannten , zum ersten Mal
1935 beim Unity-of-Science-Kongress in Paris. Feigl berichtet von einem Gespräch der drei über phi-
losophische Herkunft : “[ … ] I introduced ourselves to Russell. I said : ‘In a manner of speaking , we
are your [ … ] intellectual grandsons.’ In characteristic fashion Russell instantly asked , ‘And who is
your father ?’ ‘We have three of them’ , I replied , ‘Schlick , Carnap , and Wittgenstein.’ ( Laughter on
all sides ).” ( Feigl 1969b [ 1981 , 81 ])
535 1953 gründete Feigl das Minnesota Center for Philosophy of Science.
536 Feigl setzte sich zudem in einigen Artikeln mit Religion und Theologie kritisch auseinander.
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441