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22 1. Einleitung
wird und die Verwendung dieses Begriffes damit zur Abgrenzung gegenüber einem
Anderen dient, dann stellt sich natürlich auch die Frage, wer oder was denn dieses
Andere ist:
Jürgen Kocka spricht für die Zeit von den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhun-
derts bis etwa 1830/40 davon, dass vor allem die Abgrenzung „nach oben“, gegen-
über „privilegiertem Geburtsadel“, „monarchischem Absolutismus“ und „kirchlicher
Orthodoxie“ von vorrangiger Bedeutung für das Bürgertum gewesen sei.56 Erst nach
und nach habe sich die Absetzung gegenüber „Unten“ zur wichtigsten „Frontlinie“
entwickelt – Kocka spricht von „nichtbürgerlichen Unterschichten (und manchmal
auch den unteren Mittelschichten) mit ihren Bewegungen, die schließlich in Form
der mit Kapitalismus und Industrialisierung anschwellenden Arbeiterbewegung zu
einer immer mächtigeren Herausforderung wurden“.57 Aus den Michael Pfurtscheller
betreffenden Quellen wird nun vor allem eine Abgrenzung gegenüber seinem unmit-
telbaren regionalen Umfeld sichtbar. Es handelte sich also – nimmt man etwa die
finanziellen Möglichkeiten zum Maßstab – vor allem um eine Grenze nach „unten“,
gegenüber Wenigerbegüterten. Angesichts der wohl unbestrittenen ländlich-agrari-
schen Prägung Tirols im untersuchten Zeitraum ist dieses „Unten“ jedoch kaum als
„nichtbürgerliche Unterschicht“, noch weniger als „Proletariat“ oder gar „Arbeiter-
bewegung“, wie von Jürgen Kocka mit Blick auf den städtischen Bereich angeregt,
zu bezeichnen.58 In der untersuchten Region meint „Unten“ im Bezug auf Michael
Pfurtscheller neben Handwerkern und deren Familien, ihren Gesellen, Lehrjungen
und Gehilfen eben auch die vor allem landwirtschaftlich tätige Bevölkerung, die (we-
nigen) Bauern selbst ebenso wie deren Familien sowie ihre Mägde und Knechte –
bezeichnen kann“, verortet den Schwerpunkt dieser Entwicklung jedoch erst nach der Grundentlas-
tung zur Jahrhundertmitte. (Sergij Volfan, Unternehmer und Gutsbesitzer. Ländliches Bürgertum in
Slowenien im 19. Jahrhundert, in: „Durch Arbeit, Besitz, Wissen und Gerechtigkeit“ (Bürgertum in
der Habsburgermonarchie 2), hg. v. Hannes Stekl, Peter Urbanitsch, Ernst Bruckmüller und Hans
Heiss, Wien–Köln–Weimar 1992, S. 244–253, hier: S. 245.) Auch Michael Kasper ortet im von
ihm untersuchten Montafon zwar die „Übernahme städtischer Kulturformen“ durch einige Vertre-
ter der dortigen Elite, warnt jedoch davor, dies zu „überschätzen“ und als Bürgerlichkeit am Land
zu interpretieren. Es habe eine zu deutliche „Distanz zur Mentalität des städtischen Bürgertums“
gegeben. (Vgl. Michael Kasper, Lokale Oberschichten in Westtirol und Vorarlberg zwischen 1780
und 1830, in: Eliten in Tirol zwischen Ancien Régime und Vormärz/Le élites in Tirolo tra Antico
Regime e Vormärz (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 31), hg. v. Marco Bellabarba,
Ellinor Forster, Hans Heiss, Andrea Leonardi und Brigitte Mazohl, Innsbruck–Wien–Bozen 2010,
S. 267–285, hier: S. 283.)
56 Vgl. Kocka, Bürgertum und bürgerliche Gesellschaft, 1988, S. 20 f.
57 Vgl. ebd., S. 21.
58 Vgl. ebd. – Dass im Zusammenhang mit Michael Pfurtschellers Stellung als Verleger die Kategorien
Kockas vielleicht doch gar nicht so fern sind, wird sich noch zeigen in: Kap. 6.
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Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Titel
- Ein Bürger unter Bauern?
- Untertitel
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Autor
- Michael Span
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 470
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435