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90 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant
„Denen Tirolern sagte diese Neue Regierung nicht zu, Bayern nahm uns die alte Verfaßung,
aenderte alles um, hob die Klöster auf – beschränkte den Clerus selbst in seinen Kirchlichen
Ceremonien, forderte auch neue Steuern, zudem tratt selbe auch noch mit der Conscription
auf im Jahr 1808/9;– alle diese lästigen Neuerungen brachten Unzufriedenheit hervor.“150
Nun wiegen derartige Äußerungen eines Zeitzeugen wie Pfurtscheller ganz besonders
schwer, auch dann, wenn dieser sich – wie eingangs dieses Kapitels bereits betont
wurde – in dieser fast dreißig Jahre nach den Ereignissen des Jahres 1809 entstande-
nen Darstellung weniger als Verfasser eines Erlebnisberichts, als vielmehr als Histo-
riograph versuchte. Doch der „Aufstandsschatten“, der auch über diesen Ausführun-
gen Pfurtschellers liegt, erschwert den Blick auf den Tiroler Alltag unter den ersten
bayerischen Regierungsjahren. Die bayerische Verwaltung lässt sich nicht rein im
Hinblick darauf betrachten, inwiefern bestimmte bayerische Maßnahmen Anlass für
die Revolte von 1809 gewesen sein könnten. Auch Martin Schennach warnt davor,
einfach „Kausalzusammenhänge zwischen einer bayerischen Reformmaßnahme und
einer Aufstandsursache“ herzustellen. Schließlich konnte jedes bayerische Gesetz auf
Seiten der Tiroler Bevölkerung sowohl Profiteure als auch Leidtragende haben.151
Diese Überlegung sollte beim Blick auf die ersten bayerischen Regierungsjahre stets
berücksichtigt werden. Schließlich ergibt sich – wie sich in den folgenden Abschnit-
ten zeigen wird – durch die Heranziehung weiterer zur Verfügung stehender Quellen
auch im Hinblick auf Michael Pfurtscheller beziehungsweise das Stubaital unter der
bayerischen Regierung ein weitaus differenzierteres Bild als jenes, das in der eben
zitierten Darstellung aus dem Jahr 1838 gezeichnet wird.
Als habsburgisches Erbland hatte sich Tirol über die Jahrhunderte gewisse Son-
derregelungen gesichert und behauptet. Auch der schon beinahe sprichwörtlich ge-
wordene Reformeifer Kaiser Josephs II., mit dem ehrgeizigen Ziel einen modernen
Zentralstaat zu schaffen, der in der gesamten Monarchie auf wenig Gegenliebe stieß,
musste sich in Tirol dem massiven Widerstand beugen. In Teilen mussten die Refor-
men wieder zurückgenommen werden. Das wohl prominenteste, weil auch in der
Rezeptionsgeschichte des Jahres 1809 immer wieder ins Treffen geführte Beispiel da-
für ist die unter Joseph II. eingeführte, wenig später aber wieder zurückgenommene
Konskription. Das Schlagwort im Zusammenhang damit, und im Hinblick auf die
Tirol betreffenden Sonderregelungen, ist das „Landlibell von 1511“. Verkürzend wird
dieses oftmals als Wehrverfassung des Landes bezeichnet, die Militärdienst für Tiroler
150 Pfurtschellers „Kurzgefaßte Beiträge zur Kriegsgeschichte“, o. D. [1838], TLA, Landtagsakten 1839,
Fasz. 75, Nr. 1105, S. 5 [vgl. Anm. 6].
151 Vgl. Schennach, Revolte, 2009, S. 227.
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Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Titel
- Ein Bürger unter Bauern?
- Untertitel
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Autor
- Michael Span
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 470
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435