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98 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant
hin hatten sich die Gemeinden und Gerichte – mit regionalen Unterschieden in der
konkreten Umsetzung – im Hinblick auf Polizeiaufgaben, Streitschlichtung oder Fi-
nanzverwaltung, um nur einige Beispiele zu nennen, weitestgehend selbst organisiert.
Der bayerischen Vision eines modernen, zentral gelenkten Einheitsstaates liefen diese
vielfältig ausgebildeten, mit verschiedenen Privilegien ausgestatteten Autonomiefor-
men aus offensichtlichen Gründen zuwider. Der obrigkeitliche Eingriff in diese ge-
meindliche Selbstverwaltungskultur ist daher leicht nachzuvollziehen.182
Anhand des Beispiels des neuen Orts- beziehungsweise Gemeindevorsteheramtes
zeigt sich die Degradierung der Gemeinde vom weitgehend selbstständigen Selbst-
verwaltungskörper zum nur noch nachvollziehenden untersten Organ des staatlichen
Behördenapparates sehr deutlich. Für die Gemeindevorsteher wurde eigens eine 113
Paragraphen umfassende Instruktion erlassen, nach der sie ihre Arbeit zu verrichten
hatten.183 Der Gemeindevorsteher sollte, so zitiert Schennach den Paragraphen 91
der „Instruktion der Gemeindevorsteher“, in seiner Amtsausübung dem jeweils zu-
ständigen Landgericht völlig untergeordnet sein, „er muß die Aufträge desselben auf
das genaueste befolgen, und dahin auch alle seine Anzeigen richten“.184 Die „Verbe-
amtung“ des Amtes des Gemeindevorstehers war jedoch auch mit erheblichen Prob-
lemen verbunden, so Margot Hamm. In Paragraph 1 der erwähnten Instruktion wird
festgelegt, dass der Gemeindevorsteher aus den Gemeindemitgliedern bestimmt wer-
den, und über gewisse Qualifikationen verfügen sollte.185 Nicht in jeder Gemeinde
war offenbar ein Kandidat zu finden, der die in Anbetracht der nun anspruchsvolle-
ren administrativen Tätigkeiten des Vorsteheramtes höheren Anforderungen erfüll-
te.186 Hamm zitiert aus einem Schreiben des Landrichters von Klausen, Anton von
Klebelsberg, an das Generalkreiskommissariat Eisackkreis vom 19. Dezember 1808:
182 Vgl. ebd., S. 122 f; sowie: Schennach, Revolte, 2009, S. 268–275.
183 Diese „Instruktion der Gemeindevorsteher“ wurde im selben Regierungsblatt veröffentlicht wie das
ebenfalls bereits zitierte „Edikt über das Gemeindewesen“: K.B. Reg.-Bl. 1808, Nr. 61, 19. Oktober
1808, Sp. 2431–2460.
184 Vgl. Schennach, Revolte, 2009, S. 272; sowie: K.B. Reg.-Bl. 1808, Nr. 61, 19. Oktober 1808, Sp.
2454.
185 In ebendiesem Paragraph 1 heißt es: „Zur Stelle des Gemeinde-Vorstehers soll ein solches Gemein-
de-Glied gewählt werden, welches zu dem Geschäfte brauchbar ist; lesen, schreiben und rechnen
versteht; einen ordentlichen Lebenswandel führt; als ein guter Hauswirth bekannt ist; Erfahrung
und Bescheidenheit besitzt, und das Geschäft selbst nicht mit solcher Abneigung antritt, von wel-
cher sich auch in der Folge keine genaue Erfüllung der damit verbundenen Obliegenheiten erwarten
läßt.“ (K.B. Reg.-Bl. 1808, Nr. 61, 19. Oktober 1808, Sp. 2433.)
186 Vgl. Hamm, Bayerische Integrationspolitik, 1996, S. 123–124.
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Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Titel
- Ein Bürger unter Bauern?
- Untertitel
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Autor
- Michael Span
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 470
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435