Seite - 114 - in Ein Bürger unter Bauern? - Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
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114 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach den möglichen Beweggründen
für Pfurtschellers Verhalten im Aufstandsjahr. Dazu sind einige Bemerkungen zur
allgemeinen Bewertung der Situation in Tirol im Jahr 1809 vorauszuschicken: Mar-
tin Schennach hat in seiner Analyse der möglichen Motive hinter dem Aufstand
des Jahres 1809 klar herausgearbeitet, dass vor allem jene bayerischen Reformen
und Veränderungen die Untertanen verstärkt beschäftigten und potenziell zu Un-
zufriedenheit führen konnten, welche deren unmittelbare Lebensumstände und de-
ren Gewohnheiten betrafen. Konkret sind hier zwei Schwerpunkte zu nennen, das
wirtschaftliche Auskommen auf der einen Seite, die teilweise damit verbundene po-
litische Partizipation in der Region – Schennach verwendet den Begriff der „kom-
munalen Selbstverwaltung“ auf Gemeinde- und Gerichtsebene – auf der anderen.256
Auch die Beispiele, anhand derer bereits der Versuch unternommen wurde, ein Bild
des Stubaitales in den ersten drei Jahren unter bayerischer Herrschaft zu zeichnen,
kreisen um die genannten beiden Schwerpunkte Wirtschaft und kommunale bezie-
hungsweise regionale Verwaltung. Die Aufstandsursachen scheinen daher greifbar
naheliegend. Doch an eben dieser Stelle soll die Warnung Schennachs vor vorschnel-
len Schlussfolgerungen deutlich herausgehoben werden, bevor der Blick nun in der
Folge wiederum auf Michael Pfurtscheller gelenkt werden soll.257 Generalisierend
von „der Motivation der Tiroler“ zu sprechen ist nicht möglich. Es muss, so Schen-
nach, zum einen unterschieden werden hinsichtlich der jeweiligen Region, aus der
die betreffenden Personen stammten. Die lokalen Vertreter mussten bestrebt sein,
möglichst Schaden von der jeweils eigenen Region abzuhalten. Während man zum
Beispiel in den Städten und entlang der Hauptverkehrsrouten befürchten musste,
am meisten unter etwaigen Kämpfen zu leiden, konnte in abgelegeneren Regionen
eher damit spekuliert werden, vom Resultat eines Aufstandes zu profitieren ohne
durch Kampfhandlungen vor Ort in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Weiters ist
der zeitliche Faktor nicht zu vernachlässigen. Die Einstellung zum Aufstand konnte
sich in seinem Verlauf auch verändern, besonders in Anbetracht der Entwicklungen
auf den Hauptkriegsschauplätzen. Drittens handelt es sich bei „den Tirolern“, selbst
wenn damit in diesem Zusammenhang meist nur die mehr oder minder direkt am
Aufstand beteiligten gemeint sind, um eine Gruppe von Tausenden Individuen, die
hinsichtlich ihrer jeweils persönlichen Motivation schlichtweg nicht auf einen Nen-
ner zu bringen sind.258
256 Vgl. Schennach, Revolte, 2009, S. 236–306.
257 Vgl. ebd., S. 227.
258 Vgl. ebd., S. 237–243.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Titel
- Ein Bürger unter Bauern?
- Untertitel
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Autor
- Michael Span
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 470
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435